Bonjour! ist immer eine gute Moeglichkeit einen Text zu beginnen. Ich war lang nicht mehr hier. Das ist seltsam. Es fuehlt sich ungefaehr so an, als haette man mal wieder sein Zuhause betreten, das man vor Monaten fluchtartig verlassen hat. Man kennt das alles, alle Gegenstaende stehen immer noch am gleichen Platz, alles ist unberuehrt, schliesslich hat man ja alles selber so hinterlassen, wie es vor ein paar Monaten war. Nur den Staub, den sieht man hier nicht, da hinkt der Vergleich, im Netz gibt es keine digitale Milbenscheisse, die sich wie ein sanfter Flaum auf allem niederlegt, was sonst lange Zeit unberuehrt war. Wann wird der digitale Staub erfunden?
Ich will gar nicht lange erklaeren, warum ich solange nicht mehr hier war. Sagen wir es so: Ich war einfach nicht da. Es gab wichtigere Sachen, als hier immer wieder ein paar Rezensionen abzuwerfen. Und es GIBT immer noch wichtigere Sachen als das. Denn das Renfield ist ja nicht einfach ein Musikmagagazin und scheisse noch eins, diesen Satz, diesen Ansatz, um mir selber mal wieder den Sinn des Renfields klar zu amchen wollte ich doch fuers naechste Vorwort aufheben.
Egal. Weiter, immer weiter.
Es ist Samstag, ich sitze an meinem kleinen, etwas der Sonne abgeneigten Arbeitsplatz. Das Fenster ist halboffen ("auf Kipp" wie man so sagt). Von unten aus dem Hof droehnt irgendeine nicht naeher zu bestimmende elektronische Musik herauf unter die sich Stimmen und Gelaechter mischen. Die Musik: elektronisch, sehr repetitiv, ein immer wiederkehrender Beat, dazu irgendwelche Soundflaechen, die mich an Galaxien, Raumschiffe und Drogen denken lassen. Insgesamt sehr fix und wachmachend. Wenig chillend. Und ein paar wenige Stimmen. Das alles zusammen ist das Hoffest unseres Hauses, das dort stattfindet, oder das, was um 20 Uhr noch davon uebrig ist. Auch ich war dort unten, habe mich allerdings nach dem Verzehr von etwas Grillgut zu einem Nickerchen aufgemacht. Das Hoffest wird uebrigens - was ich sehr schoen und nett finde - von unseren Vermietern veranstaltet. Gibt es viel zu selten sowas, warum machen das nicht oefters mal irgendwelche Hausbesitzer fuer ihre Mieter? Einmal im Jahr den Grill aufstellen und fuer alle ein bisschen Fleisch, Salat und Fladenbrot hinlegen kann ja so schwer nicht sein. Und wuerde wohl auch das Verhaeltnis zwischen Besitzer und Mietpartei in den meisten Faellen etwas bessern.
Wahrscheinlich wuerden die meisten Vermieter sich auch zum ersten Mal bewusst werden, WER denn da ueberhaupt ihre Miete zahlt. Und ausserdem muessten bei den monatlichen Einnahmen wohl auch ein paar Wuerstchen fuer das Barbeque drinsitzen. Und mit Sicherheit auch die qualitativ hochwertigen aus dem Bioladen.
Bevor ich mich jedoch in unseren huebschen gruenen Hinterhof begeben habe, war noch etwas anderes zu tun. Platten kaufen. Ist eine huebsche Beschaeftigung fuer den Samstagnachmittag, das wurde mir heute sehr bewusst. Besonders, weil der Plattenladen den Mark und ich aufgesucht haben, normalerweise nicht der ist, in dem ich meine Platten kaufe. Ok, ich gehe gern zu Bis aufs Messer, sehr gern ins Wowsville, mal auch ins Videodrom, auch wen das jetzt nicht mehr so heisst oder zu hhv, Static Shock, VoPo Records und was es noch so alles gibt. Selten treibe ich mich auf der Zossener und Bergmannstrasse rum, in diesem viel zu schicken Teil Kreuzbergs, wo sich am Samstag nachmittag die Touristen gegenseitig auf die Zehen treten (und wohl immer noch glauben, das sei jetzt "so Berlin"). Diesmal schon. In die SpaceHall hat es mich verschlagen und ich wusste nicht, was mich da erwartet. Ich gebe zu, einmal war ich schon da. Damals habe ich mir aber sehr zielbewusst die letzte LP von Scroobius Pip aushaendigen lassen, diesem britischen Wortakrobaten, der ein bisschen was von The Streets hat, und zum ersten Song das beste "Ich rasier mich mal eben, waehrend ich hier im Container sitze und euch was vorsinge"-Video. Weil ich damals nur diese Platte haben wollte, hat mich der Rest gar nicht interessiert, also bin ich gar nicht bis hinten durchgelatscht. Heute schon. Und habe glatt drei - oder waren es vier? - Stunden in diesem Ding verbracht. In diesen weitlaeufigen dunklen Raeumen, mit unheimlich vielen Platten und dieser sehr ruhigen Atmosphaere. Keine Ahnung, wie der Winter wird, aber wenn mir alles auf den Sack geht, dann denke ich, waere diese Art von Plattenladen der Ort, in dem ich die zu erwartenden Schnee- und Eiseskapaden verbringen koennte. Es ist ungefaehr so, wie in einem Fuchsbau. Oder in einer Baerenhoehle. Platz genug fuer lichtscheue einige Plattennerd/Kraemerseelen und genug Vinyl, das man durchhoeren kann, bis die Sonne sich mal wieder zeigt. Diesen Ort muss ich mir merken.
Aber: Niemand von der Space Hall hat mich bezahlt, fuer diese Lobhudelei, die eigentlich auch keine sein sollte. Denn auch wenn der Laden aufgrund seienr Groesse zu empfehlen ist, sagt der Finanzminister in mir: ist aber auch n bischn teuer hier. Aber da ja Besuch in der Stadt ist und ich mir zu meinem Geburtstag eine Platte aussuchen darf, habe ich so ausdauernd in den muffigen Plattenkisten gewuehlt, wie lange nicht mehr. Und mit soviel Ruhe! Und festgestellt, dass Plattenlaeden mit ihren Vinyl-Klarsichthuellen immer noch diesen muffigen einzigartigen Plastegeruch haben, wie er schon vor 20 Jahren aus diesen Lokalitaten nicht wegzukriegen waren.
Es hat natuerlich nicht lange gedauert, bis ein Stapel Platten unter meinem Arm zur Abhoerstation gewandert ist - Vorauswahl ist gut, muss ja sein. Habe - im Gegensatz zu frueher - keinen Bock mehr, Platten mal eben so zu kaufen, weil ich mal was interessantes ueber den Kuenstler gehoert habe. Oder mir das Cover gefaellt. Oder beides. Gibt es alles.
Was hatte ich also mit in den Re-Call genommen? Eine 2012er-Platte von Mark Lanegan, die Blues Funeral, eine von Ty Segall (auch von 2012), eine von Mrs.Magician, eine von Solex vs. Cristina Martinez und Jon Spencer, ein Billo-Uraltsampler namens Radio Tokyo Tapes Vol. 3, die Black Lightning-LP von den Bellrays und eine LP von Freakwater, die aber nur, weil ich es schoen finde, von denen mal eine andere zu sehen, als die wunderbare Endtime-Platte. Dann noch die LP von den Alabam Shakes, so Blues, R'n'B-Garage-Getudel. Und ein paar 7inches von den Computers, Mary Weiss und The Amazing Snakeheads (sah irgendwie gut aus, die Band kannte ich gar nicht). Alles konnte ich nicht mitnehmen, nicht ansatzweise, also musste gesiebt werden. Die Kriterien dafuer sind nicht so leicht zu beschreiben, halt, das was mir gefaellt und hoechstens 2 Platten, 7inches nicht mitgezaehlt, das war mein Ziel. Und eben das Geschenk.
Ok, ich verrate es sofort: Mark Lanegan ist nicht mitgekommen. War mir an diesem Samstag zu finster und zu traurig, was da aus dem Kopfhoerer kam. Aber bildhuebsch ist die Platte, mit diesen ganzen Rosen und in diesem dunklen grau-gruenen Vinyl. Das passt alles super zusammen, so gut, als ware es ein Musik gewordener unheimlich schoener, von Caspar David Friedrich gemalter Sumpf aus Melancholie, der dich an den Haarwurzeln packt und in die Tiefe zieht. Tiefe hat Lanegan allemal, viel davon, mir aber heute etwas zuviel, gerade mit diesen seltsamen Wummerbeats, die da immer auftauchen. Aber eine wunderbare Textzeile konnte ich nicht vergessen, zumindest sinngemaess: If tears were liquor, I would drink myself.
Die Alabama Shakes sind es auch nicht geworden: Waren aber nahe dran, denn eigentlich stehe ich auf so eine rauhe Soul/Blues/Gospel/Garagen-Suppe und diese Saengerin hat mich doch tatsaechlich an Amy Winehouse erinnert, aber irgendwie war das in diesem Moment dann doch nichts und erklaeren kann ich das nicht. Wie das so ist beim Plattenkauf: Manchmal gibt es diese Magie des Augenblicks und du nimmst eine Platte einfach mit und schon moeglicherweise am naechsten Tag weisst du schon nicht mehr, was an diesem Ding so geil war und dann wandert sie trotzdem zu all den anderen ins Regal und manchmal nach Jahren, Monaten oder Wochen blitzt diese eine alte Magie, die den Kauf entschieden hat, wieder auf und dann ist dir klar, dass du diese Platte nie verkaufen geschweige denn verschenken wirst. Aber erklaeren kannst du das natuerlich nicht.
And now... back to the Shakes, Alabama Shakes. Vielleicht habe ich zwischendurch mal was mit Uptempo erwartet. Wo die Snare einfach mal durchzieht. Sowas wie bei JC Brooks. Das machen die Alabama Shales aber nie. Die sind eher sowas fuer den Damenbesuch. Echt, ich habe diese Platte gehoert und mir vorgestellt, wie ich sie auflege, waehrend ich mit einer jungen Frau nach der "Willst du mit hochkommen, was trinken?"-Frage auf meiner Couch sitze. Dann kann man sowas auflegen. Das Licht gedaempft, dann so Kuschelrock, der aber nicht zu triefend oder kitschig rueber kommt. Der halt Seele hat. Und dann kann man dazu auch tanzen, ganz nah beieinander und die Haende wandern lassen und keinem von beiden ist irgendwas peinlich und reden muss man auch nicht mehr. Denn jedes Wort uebernehmen dann die Shakes.
Da ich aber nicht in romantischer Stimmung war und auch schon ein bis zwei Platten fuer solch einen Anlass besitze, haben es die Shakes es auch nicht geschafft.
Aber wer dann? Keine von denen? Sind alle wieder zurueck in die guetigen Haende des Space-Hall-Verkaeufers mit dem wilden Haarschopf gewandert? Das ware natuerlich eine sehr schoene, antikonsumistische Wendung des Platteneinkaufsnachmittags. Als wuerde man im Klamottenladen 100te von Hosen und Hemden anziehen und am Ende merken, dass einem davon doch ueberhaupt nichts gefaellt. Mag vorkommen. Beim Klamottenkauf. Aber Platten wuehlen im Plattenladen OHNE eine einzige zu kaufen? Das schafft kein Plattensammler.
Im Endeffekt sind es dann drei Platten geworden,von denen ich sicher bin, das sie mein Plattenregal wirklich bereichern werden. Da ist zum einen die "Strange Heaven"-LP von Mrs. Magician. Hatte ich vorher scon mal gehoert, und war schon von den mp3 verzaubert. Habe aber irgendwie nicht mehr auf dem Schirm gehabt, was fuer ein geiler Kram das ist. Mrs.Magician ist keine Solosaengerin oder sowas, sondern eine Gruppe von Jungs, die eine wunderbare und unbeschwerte Mische aus Garage, Punk mit Twang-Gitarren und Irgendwas-mit-Beach-Boys-Gesang hinzaubern. Klingt wild, hat due richtigen unbeschwerten Melodien und ist extrem tanzbar. Alles. Jeder einzelne Song. Und das Coverartwork ist so wunderbar schwarz-weiss-schlicht, dass man es auch fuer eine Joy-Division-Platte haette hernehmen koennen.
Dann waeren da noch Ceremony. Der Name klingt nach Metal. Oder Irgendwas, was ganz boese sein will. Doom. Sowas. Aber nur der Titel. Waehrend ich mich beim Durchhoeren gerade in Mrs. Magician verliebe, stellt Marc mir die "Zoo"-LP hin. Ich schaue auf das Cover, das so gar nichts sagt. Da steht nur Bandname und Titel, ansonsten ein dunkler Hintergrund mit nem verwackelten Gesicht in sehr naher Nahaufnahme (as you can see). Schon huebsch an sich. Vielleicht wirklich so neumodisches Post-Metal-Doom-Gebrummsel, das besser als SUNNO))) sein will. Aber ich hoere rein. Und dann ist alles anders. Die sind gut, richtig gut. Denn sie sind sehr flott und machen eine huebsche Version von Punk und Rock (dit is aber keen Punkrock, do not verwechsel this!) und wieder ab und auch hier suppen leichte 60ies-Garagetupfer durch. Wunderbar. Hat sofort ueberzeugt (was gerade bei Punk/HC-Platten immer schwerer wird) und wurde sofort mitgenommen. Man soll halt doch nicht immer nach dem Namen gehen.
Letzten Endes war dann doch noch der Radio Tokyo Tapes Vol. 3-Sampler mit dabei, einfach weil die Besetzung so gut klang und die Idee eines Samplers mit rein akustischer Besetzung doch ganz reizvoll ist. Ist wohl in einer Zeit rausgekommen, als nicht alle Compilations nur reine Werbezwecke hatten, sondern teilweise noch thematisch zusammengestellt wurden. RTT3 versammelte allerlei Punkmusiker aus Los Angeles, die ein paar Akustiksongs zum besten gaben. Und deshalb finde ich diesen Sampler so interessant, denn man sieht daran sehr schoen, wie das so ist, wenn Leute, die ihre Wut bisher nur in Krach verpackt haben, nun auch andere Klaenge anschlagen und neue Ideen ausloten. Mal sehen wer so dabei ist. Ist ja schon alles etwas her, denn RTT3 ist rausgekommen, als die Frueh-Punkband X schon als The Knitters ihre Counrywurzeln entdeckte, und die sehr gut und authentisch aufarbeitet, wie "Wild side of life" beweist. Tja und eine Platte, auf der Henry Rollins nicht singt, sondern eine fuer ihn typische Spoken-wird-Performanz ueber ein jazzig klingendes Gitarrengeklimper von Tom Troccoli (so ein Hippie aus dem STT-Umfeld, der auch bei Bands wie Nig-Heist dabei war. Also eher schraeg) legt, kriegt man ja auch nicht mehr sooft. Die Songwriterin Phranc war und ist im Umfeld der Knitters bzw. X zu verorten und schuettelt wunderschoene Folksongs ganz locker aus der Hand. Und wenn neben Rolins auch die Minutemen sich an die unverstaerkten Instrumente setzen, dann kann man eigentlich nichts falsch machen. Ist auch fast einer der besten Songs. Und das sind nur die bekanntesten, auf dieser kleinen subkulturellen Musikgeschichtsstunde. Vielleicht kennt ja der ein oder andere noch Chris D. von den Flesheaters, Drew Steele von den Surf Punks, Kerry Mcbride oder Carmaig de Forrest. Oder auch nicht. Und falls dem so ist, wird die Welt auch nicht schlechter, aber es koennte sein, dass ihr da was verpasst. Unterhaltung oder Inspiration. Eins von beiden.
Das war es. Drei LPs habe ich also mitgenommen. Eine mehr als ich wollte. Achja und zwei 7inches, aber die zaehlen ja nie so richtig, ich erzaehls trotzdem: Die "Stop and think it over"-Single von Mary Weiss. Kennst du nicht? Mary Weiss war die Saengerin von den Shangri-Las, dieser Girl-group, die mit "Leader of the pack" in den 60ern alles richtig gemacht haben. Kurz nachgeschaut: Mary Weiss ist jetzt irgendwo in ihren 60ern, was sie aber nicht abhaelt, weiterhin wunderbare kernig aufgenommene Garage-Pop-Platten rauszubringen. "Stop and think it over" ist schon ein huebsches tanzbares Ding geworden und dazu noch auf Norton rausgekommen, da passt ja wirklich alles zusammen. Dazu koennten die Leute gut tanzen bei der Auflegerei, denke ich so, waehrend ich mein Kaugummi unter die Kante der Abhoerstation schmiere und deshalb musste die mit. Aehnliches ging mir bei den Amazing Snakeheads durch den Kopf, so ein beklopptes Trio aus Glasgow. Auch sehr krachig, sehr bluesig und mit viel total irrem Geschrei. Koennte zum hektischen Abzappeln gut passen, direkt nachdem man was von der neuen Guitar Wolf-Platte aufgelegt hat. We'll see.
P.S.: Die Freakwater-Platte hat es auch nicht geschafft. Hab sie mir - genau wie die Ty Segall - nicht mal angehoert. War ja noch eingeschweisst. Und die Solex vs. C. Martinez & J. Spencer heb ich mir fuer den Winterbesuch auf.