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Dienstag, 20. Februar 2024
ŽEN is space (for the cat)
Moonlee Records aus Slowenien fand ich schon immer geil. War zu Renfield-Printzeiten immer eine gute Quelle für Post-Punk, Noise-Rock und Indie und ähnliches aus den Post-jugoslawischen Republiken. Daran hat sich nicht soviel geändert, und zu den dort verlässlich abliefernden Bands gehören ŽEN, die gibt's gefühlt auch schon ewig und hier kriegt's niemand mit.
Jedenfalls: ŽEN haben eine neue Single raus, "NEDAMISE" heißt sie, und dabei geht es nicht nur am Anfang recht spacig zu. Man startet mit retromäßigem Sci-Fi-Gequietsche los. Dann hübsch verhallte und flirrende Gitarren, die legen sich geradezu verträumt über den Uptempo-Antrieb und die kroatischen Lyrics, diese auch mehrstimmig. Shoegaze nennt man solche Sounds wohl, hier würde Spacegaze sehr gut passen, das schenke ich ŽEN mal als Genrebezeichnung. Passende Szene im Film: Supertolles Raumfahrtgerät verlässt mit optimistischem Vollschub die Atmosphäre und macht sich auf in die unendlichen Weiten des Alls.
Später wird die Noise-Brennstufe gezündet. Genau zur richtigen Zeit. Ok, nicht so ganz überraschend, könnte aber in einer Indie-Disco kurz nach Mitternacht gut ins Gebälk krachen. Und dann haben sie noch diese süße Katze im Video, wer hatte nochmal eine Katze ins All geschossen? Der Dalai Lama?
Hinterher wieder viel halliges Gefiepe und Gesummse aus dem Sci-Fi-Soundkasten. Und dann ist's vorbei. Punktlandung geglückt, Applaus aus dem Kontrollzentrum. Captn CHROME und Commander LUSH nehmen die Helme ab und grüßen respektvoll, direkt auf den Balkan. Jetzt hätte ich doch mal wieder Lust auf eine ganze ŽEN-Platte.
Montag, 19. Februar 2024
Schön, wenn aus Wien Musik kommt Pt. III
ZINN - Chtuluzän
Gerade vor ein paar Tagen aus dem Kino gestolpert. Vorher ins Kino gestolpert und "Rickerl" angeschaut, diesen hübsch traurigen Film mit Voodoo Jürgens. Spielt in Wien, und zeigt mal wieder, dass in Österreich kontinuierlich sehr gute Musik entsteht. Als großer Wien-Fan freut es mich somit, dass die umtriebigen Menschen von Staatsakt eine weitere sehr gute Band aus Wien aufgetan haben: ZINN. Drei Frauen, die schwarz nicht nur als Lippenstift tragen.
Ich will die geografische Herkunft nicht als Qualitätsmerkmal herauspolieren, denn auch in Wien gibt es sicher langweilige und doofe Bands. ZINNs erstes Album "Chtuluzän" ist mehr als ein Zucken mit der Augenbraue wert, als nur durch die Tatsache, dass sie aus Wien kommen.
"Chtuluzän" - was mag das denn sein? fragt sich der chipsfutternde Popkultur-interessierte Mensch auf der Couch. Es lohnt sich ein Blick ins Werk der feministischen Naturwissenschaftshistorikerin Donna Haraway, die den Begriff eingeführt hat, um das derzeitige Zeitalter zu benennen. Hier mal die Brühwürfelversion mit Vergleichen.
Irgendwas mit -zän am Ende kommt immer gut, wenn man ein Erdzeitalter beschreiben will. (Dad joke zum Thema: Die drittn Zän, zum Beispiel, hö.). Und wenn dann noch Chtulu davor steht, so als H.P. Lovecraft-Verweis, dann entsteht schnell der Eindruck, dass die damit beschriebenen Umstände monströs sind und somit eh alles fürn Oarsch ist. So pessimistisch ist der Begriff Chthuluzän von Haraway allerdings nicht gemeint, eher als Alternative zum Begriff des Anthropozäns. Ein Begriff mit Lovecraft-Referenz klingt assoziativ allerdings erstmal nach horrormäßigem und komplettem Kontrollverlust und Weltuntergang - so aus Menschenperspektive. Kann aber auch Vorteile haben: Weltuntergangsszenarien waren oft ein gutes Thema fürs Songwriting.
Wie das ist, wenn alles verloren geht, wussten schon einige Musiker*innen aus Wien sehr gut in Musik und Worte zu fassen. Das war dann manchmal auch ganz lustig. Auch ZINN sind darin zuweilen sehr gut. Vielleicht hat es doch was mit der musikalischen Früherziehung oder dem Trinkwasser in dieser Stadt zu tun.
Chtuluzän klingt also cool und fatalistisch gleichermaßen und ist somit definitiv geeignet, um in popkulturellen Zusammenhängen verwendet zu werden. Vielleicht als Warnung, dass wir schon längt in monströsen Zeiten leben? Ich würde das derzeit unterschreiben.
Bezogen auf ZINN könnte man auch gut die griechische Mythologie bemühen: Sind diese drei Musikerinnen popkulturelle Sirenen, die verführerisch und tödlich irgendwelche Helden ins Elend ziehen? Oder sind sie die popkulturellen Erinnyen, die Rache suchen, zornig, ewig jagend, ewig sich rächend, z.B. am Patriarchat (schwer dafür!) oder an der Menschheit an sich?
Es wäre passend, denn bedrohlich ist hier einiges, vgl. "Heiliges CO2".
Zumindest äußern sie ihren Unmut nicht so plakativ, wie viele Punk-Bands, die - sicher ehrlich und löblich, aber auch ein wenig zu offensichtlich - gegen das Elend der Welt anbrüllen. ZINN, und das ist das Schöne an der ganzen "Chtuluzän"-Platte, geben sich eher schleichend, verführerisch und düster, sodass es bedrohlich und attraktiv zugleich wirkt.
Alle Vorsicht nützt nichts, diesem dunkel-süßen Charme kann man sich schwer entziehen. Hier klingt vieles nach Schwermut, nach Goth ohne Goth-Kitsch und Post-Punk wie ihn Siouxsie Sioux zelebriert, gerne mit einem guten Chanson-Spritzer garniert (z.B. bei der "Seeräuber-Jenny". Jaja, so ein Brecht-Touch ist auch mit drin, drunter machen sie's nicht.). Auch die Wut früher Frauen-Punkbands und eine gut präsentierte Systemkritik, die in mächtige Sounds gehüllt wird, zum Beispiel in "Kapital", spielt oft mit rein.
Dazu hat "Chtuluzän" auch oft diese morbide, lethargische Langsamkeit, die an DIE HEITERKEIT erinnert. Ist vielleicht kein Zufall, dass beide Bands ihre ersten Alben bei dem gleichen Label herausgebracht haben.
Morbide: Übrigens auch so ein Wort, das oft mit Wien, den Wiener*innen und den ihnen zugeordnetem Humor verbunden wird. Als müsste man an den Wiener Schulen automatisch ein Halbjahres-Praktikum bei den Friedhofsbetrieben machen.
Es sollte bei aller Desperatheit in Wort und Ausdruck aber nicht der Fehler gemacht werden, ZINN für eine schaurig-lustige All-female-Halloween-Band mit gemütlichem Wiener-Kaffeehaus-Schmäh zu halten. Dafür sind ihre Aussagen zu den Umständen doch zu ernsthaft.
So bin ich fast geneigt ihnen zu glauben, dass wir wirklich in einem Chtuluhaften Zeitalter leben und somit eh alles verloren ist. Oder fürn Oarsch, sucht's euch halt aus. Sollte dem so sein, entschuldigt mich für einen Moment, ich muss nochmal kurz ins Bad, meinen schwarzen Lippenstift für das stilvolle Ende auflegen.
Barry Tomorrow
"Chtuluzän" ist am 09. Februar 2024 auf Staatsakt erschienen.
Foto Zinn: Apollonia Theresa Bitzan
Gerade vor ein paar Tagen aus dem Kino gestolpert. Vorher ins Kino gestolpert und "Rickerl" angeschaut, diesen hübsch traurigen Film mit Voodoo Jürgens. Spielt in Wien, und zeigt mal wieder, dass in Österreich kontinuierlich sehr gute Musik entsteht. Als großer Wien-Fan freut es mich somit, dass die umtriebigen Menschen von Staatsakt eine weitere sehr gute Band aus Wien aufgetan haben: ZINN. Drei Frauen, die schwarz nicht nur als Lippenstift tragen.
Ich will die geografische Herkunft nicht als Qualitätsmerkmal herauspolieren, denn auch in Wien gibt es sicher langweilige und doofe Bands. ZINNs erstes Album "Chtuluzän" ist mehr als ein Zucken mit der Augenbraue wert, als nur durch die Tatsache, dass sie aus Wien kommen.
"Chtuluzän" - was mag das denn sein? fragt sich der chipsfutternde Popkultur-interessierte Mensch auf der Couch. Es lohnt sich ein Blick ins Werk der feministischen Naturwissenschaftshistorikerin Donna Haraway, die den Begriff eingeführt hat, um das derzeitige Zeitalter zu benennen. Hier mal die Brühwürfelversion mit Vergleichen.
Irgendwas mit -zän am Ende kommt immer gut, wenn man ein Erdzeitalter beschreiben will. (Dad joke zum Thema: Die drittn Zän, zum Beispiel, hö.). Und wenn dann noch Chtulu davor steht, so als H.P. Lovecraft-Verweis, dann entsteht schnell der Eindruck, dass die damit beschriebenen Umstände monströs sind und somit eh alles fürn Oarsch ist. So pessimistisch ist der Begriff Chthuluzän von Haraway allerdings nicht gemeint, eher als Alternative zum Begriff des Anthropozäns. Ein Begriff mit Lovecraft-Referenz klingt assoziativ allerdings erstmal nach horrormäßigem und komplettem Kontrollverlust und Weltuntergang - so aus Menschenperspektive. Kann aber auch Vorteile haben: Weltuntergangsszenarien waren oft ein gutes Thema fürs Songwriting.
Wie das ist, wenn alles verloren geht, wussten schon einige Musiker*innen aus Wien sehr gut in Musik und Worte zu fassen. Das war dann manchmal auch ganz lustig. Auch ZINN sind darin zuweilen sehr gut. Vielleicht hat es doch was mit der musikalischen Früherziehung oder dem Trinkwasser in dieser Stadt zu tun.
Chtuluzän klingt also cool und fatalistisch gleichermaßen und ist somit definitiv geeignet, um in popkulturellen Zusammenhängen verwendet zu werden. Vielleicht als Warnung, dass wir schon längt in monströsen Zeiten leben? Ich würde das derzeit unterschreiben.
Bezogen auf ZINN könnte man auch gut die griechische Mythologie bemühen: Sind diese drei Musikerinnen popkulturelle Sirenen, die verführerisch und tödlich irgendwelche Helden ins Elend ziehen? Oder sind sie die popkulturellen Erinnyen, die Rache suchen, zornig, ewig jagend, ewig sich rächend, z.B. am Patriarchat (schwer dafür!) oder an der Menschheit an sich?
Es wäre passend, denn bedrohlich ist hier einiges, vgl. "Heiliges CO2".
Zumindest äußern sie ihren Unmut nicht so plakativ, wie viele Punk-Bands, die - sicher ehrlich und löblich, aber auch ein wenig zu offensichtlich - gegen das Elend der Welt anbrüllen. ZINN, und das ist das Schöne an der ganzen "Chtuluzän"-Platte, geben sich eher schleichend, verführerisch und düster, sodass es bedrohlich und attraktiv zugleich wirkt.
Alle Vorsicht nützt nichts, diesem dunkel-süßen Charme kann man sich schwer entziehen. Hier klingt vieles nach Schwermut, nach Goth ohne Goth-Kitsch und Post-Punk wie ihn Siouxsie Sioux zelebriert, gerne mit einem guten Chanson-Spritzer garniert (z.B. bei der "Seeräuber-Jenny". Jaja, so ein Brecht-Touch ist auch mit drin, drunter machen sie's nicht.). Auch die Wut früher Frauen-Punkbands und eine gut präsentierte Systemkritik, die in mächtige Sounds gehüllt wird, zum Beispiel in "Kapital", spielt oft mit rein.
Dazu hat "Chtuluzän" auch oft diese morbide, lethargische Langsamkeit, die an DIE HEITERKEIT erinnert. Ist vielleicht kein Zufall, dass beide Bands ihre ersten Alben bei dem gleichen Label herausgebracht haben.
Morbide: Übrigens auch so ein Wort, das oft mit Wien, den Wiener*innen und den ihnen zugeordnetem Humor verbunden wird. Als müsste man an den Wiener Schulen automatisch ein Halbjahres-Praktikum bei den Friedhofsbetrieben machen.
Es sollte bei aller Desperatheit in Wort und Ausdruck aber nicht der Fehler gemacht werden, ZINN für eine schaurig-lustige All-female-Halloween-Band mit gemütlichem Wiener-Kaffeehaus-Schmäh zu halten. Dafür sind ihre Aussagen zu den Umständen doch zu ernsthaft.
So bin ich fast geneigt ihnen zu glauben, dass wir wirklich in einem Chtuluhaften Zeitalter leben und somit eh alles verloren ist. Oder fürn Oarsch, sucht's euch halt aus. Sollte dem so sein, entschuldigt mich für einen Moment, ich muss nochmal kurz ins Bad, meinen schwarzen Lippenstift für das stilvolle Ende auflegen.
Barry Tomorrow
"Chtuluzän" ist am 09. Februar 2024 auf Staatsakt erschienen.
Foto Zinn: Apollonia Theresa Bitzan
Samstag, 17. Februar 2024
Schön, wenn Stumpf Sand macht Pt.IVMXI
Stumpf - Sand
Die Steinlawine rollt langsam los. Erst nur ein paar Kiesel, aber dann schlagen die Felsen stumpf aneinander, ganz nah am Ohr.
Aber man will den Kopf nicht einziehen, sondern eine angenehme Bedrohlichkeit lockt den Hörer und die Hörerin. Man will Teil der Entropie werden. Eine taumelnde Unwucht bildet schließlich doch einen ziemlich runden Kreis. Der Treibsand krallt sich an die Knöchel und vertrackte Snare-Figuren und drahtigste Basssaiten begleiten das eigene Versinken. Ruhe kehrt erstmal trotzdem nicht ein. Die A-Seite endet dramatisch in Feedbacks und dem Versuch sich zu erheben, aber es folgt immer wieder ein Sturz auf die schon längst blutigen Knie.
Nach der Halbzeit ist die Soundwelt zwar noch die gleiche, kalt und klar, aber es ist sowas wie Tag geworden. Nachdem man so richtig vermöbelt wurde, kann man sich nun langsam wieder aufrichten und voran schleppen. Vermutlich Richtung Strand, aber ob es zum Surfen reicht, ist ungewiss. Das Humpeln ist noch deutlich spürbar, aber es ist ein emanzipiertes Humpeln geworden. Der Kopf nickt. Entlassen wird man in eine weite Landschaft, in der kein Echo hallt. Erschöpft wandelt man ziellos dem Ende entgegen. Herrlich demoliert.
Asja Skrinik
Stumpf - Sand erscheint am 12.03.2023 digital und auf Vinyl auf edelfaul recordings.
Die Steinlawine rollt langsam los. Erst nur ein paar Kiesel, aber dann schlagen die Felsen stumpf aneinander, ganz nah am Ohr.
Aber man will den Kopf nicht einziehen, sondern eine angenehme Bedrohlichkeit lockt den Hörer und die Hörerin. Man will Teil der Entropie werden. Eine taumelnde Unwucht bildet schließlich doch einen ziemlich runden Kreis. Der Treibsand krallt sich an die Knöchel und vertrackte Snare-Figuren und drahtigste Basssaiten begleiten das eigene Versinken. Ruhe kehrt erstmal trotzdem nicht ein. Die A-Seite endet dramatisch in Feedbacks und dem Versuch sich zu erheben, aber es folgt immer wieder ein Sturz auf die schon längst blutigen Knie.
Nach der Halbzeit ist die Soundwelt zwar noch die gleiche, kalt und klar, aber es ist sowas wie Tag geworden. Nachdem man so richtig vermöbelt wurde, kann man sich nun langsam wieder aufrichten und voran schleppen. Vermutlich Richtung Strand, aber ob es zum Surfen reicht, ist ungewiss. Das Humpeln ist noch deutlich spürbar, aber es ist ein emanzipiertes Humpeln geworden. Der Kopf nickt. Entlassen wird man in eine weite Landschaft, in der kein Echo hallt. Erschöpft wandelt man ziellos dem Ende entgegen. Herrlich demoliert.
Asja Skrinik
Stumpf - Sand erscheint am 12.03.2023 digital und auf Vinyl auf edelfaul recordings.
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