So heiß! Da wissen wir alle, dass es keinen Sinn macht, sich zu bewegen. Nicht mal die Finger, die normalerweise über Tastaturen huschen und vermeintlich Sinnvolles eintippen.
Also hilft nur: Rumliegen und allerhöchstens die Gedanken in Schwung bringen - und wenn möglich nicht mal das!
Ich mache es trotzdem und denke daran, dass ich mich vor ungefähr 2 Jahren schweren Herzens von einem meiner Lieblings-T-Shirts aufgrund nicht mehr zu übersehender Auflösungserscheinungen trennen musste. Es war eines der wenigen gelben Shirts, die ich je besaß und natürlich - es war ein Band-Shirt. Die haben ja oft die Angewohnheit einen lange durchs Leben zu begleiten. Und selbst wenn die Mitmenschen um dich herum schon merken, dass dieses Laibchen an dir schon wie aus der Zeit gefallen wirkt, findest du immer noch, dass du damit immer noch topmodern aussiehst. Für den einen mag das sein Biohazard-Hoodie sein, den er 1994 auf dem Dynamo-Festival gekauft hat, und der bisher noch jeder neuen Waschmaschine getrotzt hat, die seitdem angeschafft wurde.
Bei anderen ist es vielleicht das Placebo-Top oder ein Shirt von den Get-Up-Kids der was von Refused, alles alte Hemden mittlerweile, nix neues und trotzdem denkt jeder Träger, dass er damit noch voll jung wirkt und im vollen popkulturellen bzw. subkulturellen Saft steht - selbst wenn der schon ganz woanders gezapft wird. Trägt man dieses in Ehren mitgeschleppte Baumwollgewebe (ihr seht, ich gebe mir Mühe, nicht immer den Begriff T-Shirt zu verwenden) dann auf irgendwelchen Festivals, darf man sich sicher sein, dass man auf die anwesenden jüngeren Herrschaften ungefähr den gleichen Eindruck macht, wie der Typ mit dem Pink-Floyd-Shirt, dem Zopf und der Halbglatze, den man als 16-jähriger Jungpunk früher auf seinem ersten Rheinkultur-Open-Air selber etwas befremdet bis amüsiert angeglotzt hat wie ein längst ausgestorbenes Tier oder auch: als vollkommen altmodisch und etwas peinlich bewertet hat.
Warum schreibe ich das alles? Weil ich vor zwei Jahren eins meiner Lieblings-Shirts aussortiert habe, um genau dieser Falle zu entgehen. Auf dem Shirt war vor in schönster Kleinkinder-Manier ein Pfefferstreuer gemalt in türkis-blauer Farbe. Hellbau auf gelb, das war für mich lange Zeit voll Punk, jedenfalls mehr als irgendwelche bierernsten Nietenkaiser in ihren ewig schwarzen Kutten und so. Das gelbe Ding war natürlich ein Bandshirt, es war von GRAF ZAHL, gekauft auf einem Konzert irgendwann in den 90ern in Siegen, wo sie ja auch herkommen. GRAF ZAHL fand ich nicht nur wegen ihrer hübschen Shirts gut, weil die immer so nett dilettantisch daneben waren, was man auch am Artwork der ersten LP "Der Gönner" feststellen konnte. Auch die Musik war angenehm anders, für mich mit einer der ersten Schritte weg von dem gleichtoenenden Punk/HC-Geboller, was sonst allerorten zu hören gab.
Die drei Männer, die sich nach einer Sesamstrassenfigur benamsten, wollten wohl extra dilettantisch und unfertig werden. Natürlich war das auch die Zeit, als alle Helge Schneider geil fanden und versucht haben, alle Nase lang so komisch wie er zu reden. Da passten die Grafen natürlich super rein mit ihren selbstgemalten knatschebunten Kritzelcovermännchen und diesem Schrammelsound, hinter dem sich irgendwo so gar nicht blöde Lyrics versteckten. Aber so ganz ernst wollte man sich wie wohl jeder Mitt-90er-Slacker dann doch nicht nehmen. Sollte es je eine Art Hymne für diese Zeit der Orientierungslosen in den Provinzstädten Westdeutschlands geben haben,dann war das wohl "Hurra die Ernsten kommen", dicht gefolgt von ihrer Krachvariation des PET SHOP BOYS-Hits "Boring".
So ein bisschen war GRAF ZAHL eine ruppigere, rauhere Variante von TOCOTRONIC, vielleicht so ähnlich angelegt wie DINOSAUR JR. mit deutschen Texten und vom Umfeld natürlich viel punkiger unterwegs, ohne sich je richtig als Punk zu definieren. Immerhin pflegte man gute Kontakte zu ähnlich gelagerten Verweigerern wie EA80, KICK JONESES oder KLOTSZ. Statt sich mit der ersten Platte (die im extra bedruckten Jutebeutel rauskam) gleich bei einem schicken Label zu bewerben, welches einem schlimmstenfalls so nach und nach die Kanten weggeschmirgelt hätte, hat man lieber so für sich rumgebusselt. Jahrelang. Oft mit langer Funkstille. Und während alle Welt jeden Quatsch aus der Hamburger Schule gut fand hörte, hörten nur ganz wenige die etwas sporadisch erscheinenden GRAF-ZAHL-Platten. Nach der ersten LP und ein paar EPs habe auch ich ihre Spur etwas verloren, die "Alles muss schwimmen"-CD habe ich sogar irgendwann in Leipzig im 2nd-Hand-Laden gefunden, die Spur war also mehr als dünn und irgendwie dachte ich lange Zeit, dass die Welt der Ernsten den Graf eventuell doch gefressen hätte.
So leicht war es aber dann doch nicht. Kurzum, sie haben überlebt. Irgendwie. Und jetzt, da ich selber wieder an so einer Lebensstelle bin, an der ich mich oft wie der orientierungslose junge Mann fühle, der ich vor 20 Jahren war, gibt es eine neue GRAF ZAHL-Platte. Kann das Zufall sein? Oder gibt es sowas wie Zufall gar nicht? Jedenfalls hat sich soviel nicht geändert bei Graf Zahl. Ob der Titel "Der Rückzug ins Private" sowas wie eine Drohung sein soll? Aber den haben sie gar nicht angetreten, waren aber möglicherweise oft davor in all den Jahren, wäre ja nicht so unwahrscheinlich. Schnell stellt sich beim Durchhören Erleichterung ein: Soviel hat sich gar nicht verändert. Die Schrammelgitarren sind immer noch da, J. Mascis würde das wohl lieben, eventuell haben GRAF ZAHL mittlerweile nur festgestellt, dass es doch nicht so ganz doof ist, wen man mal die Texte verstehen kann und deshalb versinkt der Gesang nicht komplett hinter diesen feinen Melodien, die da aus einer Gitarrenwand herausgemeißelt werden. Somit klingt GRAF ZAHL doch um einiges kompakter und klarer, stellenweise etwas strukturierter, was in all dem immer noch vorhandenen Gestus des Kauzigen aber sehr angenehm erscheint. Tja und sonst? Wird immer noch gesucht, gezweifelt und die eigene Verwirrtheit zum Ausdruck gebracht. Keine Ahnung, ob das irgendwelche Mitt-20er interessiert, die meiner Meinung nach wie bekloppt durch ihr Studium hechten und für sowas wie Selbstzweifel gar keine Zeit haben.
Alle, die allerdings spätestens 1995 ihre Musiksozialisation begonnen haben und sich bis heute nicht ganz im klaren sind, was sie so im Leben eigentlich anstellen wollen (und das obwohl sie mittlerweile Mitte 30 sind und es eigentlich wissen sollten, zumindest wenn es nach ihren Eltern geht), dürfen sich freuen, dass es immer noch eine Band gibt, die ähnliche Gedanken in Songs und Worte packen kann und die auch in ganz passablen Indie-Rock (was ein beschissenes Wort für so eine zeitlos gute und solide Platte, die übrigens nur als LP erscheint) packen kann. Unsicherheit und Zweifel sind eben doch kein Vorrecht einer unruhevollen Jugend. So richtig dick ins Geschäft werden GRAF ZAHL wohl nie mehr kommen, aber das war bestimmt auch nie das, was sie wollten. Und ob sie irgendwann mal ins Vorprogramm von Tocotronic oder KETTCAR kommen könnten, wohl auch. Eigentlich sind GRAF ZAHL wohl sowas wie die bandgewordene Verkörperung des alten Oscar-Wilde-Zitats mit dem Ehrgeiz und dem Versagern. Oder vielleicht auch nur die Slacker-Soundtrack-Lieferanten, die uns beruhigend bis in die Mitte unseres immer noch orientierungslosen Lebens begleitet haben. Auch wenn das bunte Kritzelcoverartwork einem viel würdigeren schlichten Stil gewichen ist. Kann ich nach dem Abschied von meinem einzigen knatschgelben Bandshirt gut nachvollziehen. (F) (http://www.grafzahl.co.uk)