Scott Monteith – The Lichen Diaries Vol. 1
Der kanadische Produzent Scott Monteith, a.k.a. Deadbeat, war investigativ im Urlaub und vertonte diesen geräuschvoll in seinem neusten Album The Lichen Diaries Vol 1.
Nebulöse Schleier, durchschnitten von wirren Lichtsäbeln vor einem seichten Regenbogen über der Gischt karibischen Gewässers, gerahmt von mattgrünen Palmen zieren das Cover: Die Dominikanische Republik. Inmitten dieses Arrangements erkennt man bei näherem Hinschauen den Fuß eines Bürostuhls nebst lässig schlängelnden Kabeln, eine mögliche Andeutung auf Reminiszenzen in Monteith’s Tonstudio.
Hier zeigt sich bereits das Spannungsfeld, das in The Lichen Diaries auch akustisch aufgemacht wird, nämlich eine sehnsüchtige Robinsonade inmitten palmenverklärter Herausforderung menschlicher Existenz, die ihre räsonable Verhaftung im artifiziellen Kulturbombast funktionaler Differenzierungen nimmer leugnen kann.
Das Album beginnt mit Grillen und Dschungelgezwitscher, vermischt mit desinteressierter Anthropo-Akustik. Hie und da eine Klangschale auf einem ätherischen Synthteppich angeschlagen. Es könnte mondäner Ashram-Ambient werden, doch dafür fehlt die Geduld.
Brutzeln und Gluckern flankieren die Drive-Thru-Meditation und in den Teppich werden mit heißer Nadel Orgelmuster in Overdrive-Optik gestrickt. Rhythmisch gekämmtes White-Noise trachtet hintergründig danach, wellenwogengleich einzulullen, doch plötzlich stöbert eine 303-Bassmelodie unentschlossen durchs Dickicht und dann ist es auch schon vorbei.
Im zweiten Track, der sich wie alle anderen Titel nahtlos einreiht, nimmt die Reise Fahrt auf. Four on the floor, aber mit Barfußschuhen! Lieblich-hüpfend breit-verhallte Dub-Kicks, auf der sich unisono eine kurz angeschlagene Hammond dazu gesellt.
Hier fühlt sich Monteith sicher, der als Deadbeat Einiges im Dub-Genre veröffentlicht hat. Die dubbigen Fußstapfen hinterlassen ihre forsche Spur aber immer noch inmitten des krissligen Dschungelambientes, über dem sich gewitterwolkig und Blitze zuckend Turbulenzen ankündigen, von denen der Hörer jedoch unerwartet filterout verschont bleibt.
Nun wird es noisy und alles geriert zu einem großen, sämigen Flatsch; als wenn sich ein erhabener Geist aus der grünen Hölle erhebt und Petrus die Stirn hinbietet, unterstützt von ein paar Tropenholz schlägelnden Jüngern. Wer will da schon noch regnen? Leider sind die anheimgestellten Synthieklänge, dröhnend geboostet, etwas ungestüm gelevelt und holpern eher in die sonst spannende Melange aus Ambient-Flow und metallisch-zirrender Äther-Elektrik.
Der Drone-Sound tönt weiter, jetzt versöhnlerisch mit dem Wettergott, besänftigend, träumerisch, mit friedlich-indigener Resonanz. Ab der Mitte des jetzigen Tracks werden die Felle von Big-Toms zum Zittern gebracht und verleihen der Zeremonie eine Prise Weisheit, die schließlich sanft und mit weniger Delay im Synth tippelnd ausklingt.
Es klärt auf. Das Gewitter war nur eine Drohgebärde. Der Dschungel brüllt sein üblich schrilles Fundament. Eine dünne Melodie tanzt zitternd mit verstörtem Orientierungssinn um eine sich in Trance befindende Bassline – quo vadis? Ein Dialog zwischen Timbre und Shape mit einem Quäntchen Acid.
Das Ende naht und endlich: Ein Sonnenstrahl durchsticht das firmamentale Dickicht und ein jungfräulicher Wind durchstiebt die Wogen vor der atemberaubenden Küste karibischer Jahresurlaubs-Silhouette. Leise Zweifel strömen kristallin-sphärisch präfrontal, ergießen sich im Lappen der Erkenntnis erratisch – wie lange wird man hier noch stranden können? Aeroplane Strings in stereo-strato-cirrus. Soundtechnisch der schönste Teil im Album, das aus- wie einklingt, mit egalitärem Personen-Polter.
The Lichen Diaries ist eine knappe Dreiviertelstunde Field Recordings eingekleidet mit allerlei Synthesizer-Gewändern. Hin und wieder rhythmisch untersetzt, meistenteils aber befreit von Beats. Eine geräuschvolle, zweifelsschwere und gleichsam zweifelsleichte Kulisse, vor der man sich gern, doch stets argwöhnisch durch das Noisy-Nature-Ambient-Theater treiben lässt, veröffentlicht im April 2024 auf BLKRTZ.
Bar der üppigen phonetischen Andeutungen in The Lichen Diaries, die so viele namensgebende Assoziationen zulassen, benennt Monteih die Tracks übrigens lediglich im akademischen Duktus von 1.1 bis 1.6 und macht somit abermals einen Fingerzeig auf den Habitus der technokratischen Welt, aus der er kommt und mit deren Maschinen er hiesiges Album kreiert hat, das dessen zum Trotz ein Echo eines ehemals unbefleckten Naturparadieses erklingen lässt.
The Lichen Diaries – Die verflochtenen Tagebücher. Vol 1 – das lässt hoffen auf weitere Reisen von Scott Monteith, an denen er uns teilhaben lässt, den Hörer dabei aber immer auch zu sich selbst führt.
Gustav Roland Reudengeutz
Scott Monteith – The Lichen Diaries Vol. 1 ist im April 2024 auf BLKRTZ erschienen. Alles weitere von Scott Monteith hier.
Ziemlich geile Mucke und auch journalistisch sehr fluffig und reizvoll geschrieben
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