Donnerstag, 1. August 2024

Schön, wie vor 10 Jahren Musik gemacht wurde Pt. I2XU


SLEAFORD MODS - DIVIDE AND EXIT 10th Anniversary Edition (+ Flexi-Disc-Bonus-Tracks)

2014 war ich in Berlin unterwegs. Die Dinge liefen mal so, mal so. Meist eher so. Die Sleaford Mods wären ein guter Soundtrack für eine leicht prekäre Berliner Existenz gewesen. Ich war dafür allerdings nicht so wirklich offen. Natürlich habe ich damals irgendwas von diesen beiden mitbekommen, die wurden damals ja sehr abgefeiert, auch und viel von diversen Punkpublikationen, obwohl das musikalisch kein herkömmlicher Punkrock war.

Die Anschlußfähigkeit an unsere liebste Motz-Rum-Subkultur kam bei Jason Williamson und Andrew Fearn wohl eher vom Auftreten und der Einstellung, die sie an den Tag legten. Die beiden Typen sahen aus wie leicht angegangene, mürrische Clubgänger, damit hätten sie auch gut in die Fortsetzung von Trainspotting gepasst. Dazu kam dieser Minimalismus, der fast schon dreist oder auch provokant zu nennen wäre. Nicht zu vergessen: Die recht gute Vernetzung im DIY-Punk-Kontext, die Sleaford-Mods-Single "Bambi" erschien 2013 auf X-Mist Records, Armin Hoffmann wusste es halt schon immer.


Was da passierte, war in seiner Dreistigkeit schon sehr Punk: Einer von den beiden schießt am Rechner die Elektrotracks ab, der andere nölt dazu in breitestem britischem Slang über alles und jeden rum. Über die Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation an sich. Britisches Englisch hat eh launenunabhängig eine charmante Melodie und nun flucht da einer rum, eben zu Billo-Beats und einfachen Basslinien, die am Rechner zusammengebastelt wurden. Dazu wird ungelenk über die Bühne gehupft. Das haben auch die verstanden, die nicht jede Zeile verstanden haben.

Die Musik ist das Vehikel, möglicherweise kein besonders luxuriöses. Aber eins, das funktioniert. Eins, mit dem hervorragend die frustigen Lyrics über alles, was damals in GB im alltäglichen Leben der nicht ganz so Privilegierten schieflief, transportiert werden. Da Punkrock seine Relevanz und Schärfe als Mecker-Medium im Laufe der Jahrzehnte verloren hat, brauchte es eben eine neue Herangehensweise. Denn zum Motzen gibt es immer noch genug, also warum nicht mal neue Methoden ausprobieren? Auf musikalische Filigranität wurde geschissen, auch auf eine Besetzung im herkömmlichen Rock-Sinn und das ist ja schon mal sehr Punk. Scheiß auf Gitarren, scheiß auf Instrumente, scheiß auf Songschema oder tricky Strukturen. Aber live auch sehr unterhaltsam. Also Haken dran.


Weil soviel textreich rumgemeckert wurde und die Songs dann auch einfach nach einer bis drei Minuten einfach aufhörten, sind SLEAFODS MODS sowas wie eine Konsensband, auf die sich verschiedenste Gruppen einigen konnten: Punks und Indieloddels, die diese trashige, schlecht gelaunte und somit sehr nachvollziehbare Rangehensweise eben deshalb schätzten. Dazu Elektroconnaisseure, weil es nun mal eine erfrischend andere Art von Elektro war. Vielleicht auch ein paar versprengte Britcore-Überlebende, die ebenfalls die rohe, ungeschminkten Texte schätzten, weil es authentischer klang, näher dran war an der eigenen Lebensrealität und so gar nichts von gekünsteltem DickeHose-Gangster-Werdereichoderstirbdabei-HipHop hatte. Denn straßencredibel wirken die Mods auf alle Fälle. Eine Band, die Fans von The Fall und The Streets gleichermaßen abfeiern, kann nur interessant sein.

Davon ab krachen die Hits auf DIVIDE AND EXIT auch nach 10 Jahren wie eine Röhre Mentos in der Cola-Flasche: "Git some balls", "Tied up in Nottz", "Tweet Tweet Tweet", "Tiswas" oder "The Corgi" - alles Kracher, die sich schon jetzt schon ins Alzheimer-immune Gedächtnis der Popkultur eingeschrieben haben. Tanzte zu letzterem übrigens gerade nur im Bademantel durch die Plattenbauwohnung und hoffte, dass es laut genug war, damit die Nachbarn mitfeiern können.

Das hat natürlich alles seine Geschichte. DIVIDE AND EXIT war nicht das erste Album der Band, sondern schon das siebte. Sieben Alben von 2007 bis 2014, eine fast serielle Produktionsweise, alle DIY-mäßig rausgebracht, das zeugt von Hartnäckigkeit, jeder Menge Ideen und dem ziemlich tief sitzenden Glauben an das, was man tut. Man kann es ihnen gönnen, dass sie mit ihrem Scheiß abgefeiert worden sind. Eine Schritt zurückgetreten ist die Geschichte dieses Duos somit auch eine, die sehr gut in die mythenhafte Geschichtenbuch der Popkultur passt. Die Geschichte von den beiden Underdogs, die es mit dem, was sie kompromisslos tun, selber ikonisch geworden sind.


Das schöne an den Sleaford Mods ist natürlich, dass es einfach zwei Kerls in Freizeitsportkleidung (oder Campingplatz-Outfit) sind, die so auch seit 20 Jahren am Tresen in der Perspektivlos-Kneipe eines Berliner Vororts neben dir sitzen könnten.
Dabei sollten immer die gesellschaftlichen Umstände in Großbritannien mit in die Betrachtung der Band einbezogen werden. Thatcherism und die troslosen Folgen, die gerade abseits der Metropole London, wahrscheinlich auch in Nottingham, wo die Sleafords Mods herkommen, so richtig für sozialen Kahlschlag und Tristesse gesorgt haben. Es ist leicht zu sehen, dass damals nicht alles erstes Sahne war, und dass nicht wirklich was besser geworden ist - eh klar. Gründe zum Abkotzen gab es vor 10 Jahren genug und heute wahrscheinlich auch noch.

Dass es schon wieder 10 Jahre her ist, seit "Divide and Exit" erstmals erschienen ist, verwundert ein bißchen. Denn so einfach und billig das erscheint, was Williamson und Fearn machen, so zeitlos klingt es auch. Zumindest wenn man es in der Distanz von 10 Jahren sieht. Wer weiß, mit welchen Ohren das in 20 Jahren gehört wird.

Was irgendwie vorhersehbar war: Auch die Sleaford Mods sind nicht gegen die Strategien der popkulturellen Wiederverwertungsmühle gefeit. Zum 10. Jahrestag wird "Divide and Exit" also nochmal rausgebracht, auf Doppel-Vinyl, mit Bonustracks und Flexi-Disc (legt sowas eigentlich irgendwer wirklich auf den Plattenteller?). So werden die Plattensüchtigen geködert, damit die Zweitverwertung funktioniert.

Es sollen mit dieser Neuauflage wohl die damals Zuspätgekommen (das wären dann so Typen wie ich) oder Nochgarnichtgeborenen unter den Vinyljunkies von der Bushaltestelle am Plattenmarkt abgeholt werden. Für alle anderen, die Spotify-Zombies und Youtube-Nuckler, ist das eh alles immer und überall verfügbar und Menschen, die Musik meistens auf diese Art konsumieren, ist es wahrscheinlich auch egal, ob dieser Bonustrack jetzt verfügbar ist oder jener Track neu abgemischt wurde oder der Doppelvinylversion eine Flexidisc beiliegt.
Mir tendenziell auch, trotzdem freue ich mich, dass dieses Album nun wieder für einige Zeit als Vinylversion erhältlich sein sollte und das nicht zu Mondpreisen, die die Erstveröffentlichung wohl mittlerweile erzielt.

Gary Flanell

Sleaford Mods - Divide and Exit 10th Anniversary Edition (+ Flexi-Disc-Bonus-Tracks) ist am 26.Juni auf Beggars Banquet erschienen.

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