Donnerstag, 15. August 2024
Schön, wenn die Chemie stimmt Pt. I
MARTINA CLAUSSEN UND KATHARINA KLEMENT - ALCHEMICAL ALLURES
Das österreichische Duo Claussen-Klement, auch bekannt als DUO 3-KANAL (zu zweit in Korrespondenz mit einer Lautsprecherbox) stilisiert mit Alchemical Allures eine wohlgeplante Klang-Collage bestehend aus dinglich-zithrig-vocaloiden Geräuschfetzen, flatternd in einem elektro-ätherischen Corpus. Durchdacht arrangiert, auch wenn sich der Sinn dessen nicht unmittelbar erschließt. Aber das ist womöglich schon die titulierte Alchemie, die ja auch undurchsichtig und umstritten ist.
Alchemie, das ist die mittelalterliche Stofflehre mit ihren unzähligen reaktiven Versuchen, ferner das Veredeln unedler Stoffe. Ob Claussen und Klement mit ihrem vierteiligen Album ein güldenes Erzeugnis vollbracht haben, soll im Folgenden Gegenstand der Untersuchung sein.
Alchemical Allures ist in vier Teile gliedert: Helium, Silver, Sodium und Neon, je sieben bis zehn Minuten lang. Unklar ist, ob diese chemischen Elemente bereits das Produkt sein oder als Reaktant herhalten sollen. Helium beispielsweise ist zwar kein Gold, aber immerhin ein edler Stoff, nämlich ein Edelgas.
Helium, altgriechisch für Sonne, eröffnet den Ohren einen tatsächlich hörbar hell beschienen Wiesengrund mit Grillengezirpe und Wind im Hintergrund. Die Stimmung indessen wird schnell düster-schaurig, ob der claussen’schen Lippenbekundungen: Hauchen, pressiertes Gluckern, Piep und Plopp, Hecheln und flinke Zungenakrobatik. Eine schizoide Mischung aus Erotik und Horror, aus indigenem Kauderwelsch und Würgereiz. Derweil klackert Klement grazilen Schrittes auf kühlem Grund durch einen fernhallenden Korridor und ergänzt die Naturelle mit maschineller Kulturstruktur.
Silver, das argentische Übergangselement, erklingt sofort als das, was es ist, als Metall, hier spiraliert und verschieden dick aufgetragen. Man kann sich gar einen silbernen Vogel vorstellen, der routiniert durch seine Metallfedern schnäbelt. Dabei schrammelt und döngelt es anmutig, das Federvieh bürstet dabei schwingelnd über den Boden, stößt mit seinem Bürzel hin und wieder an einen Becher oder an eine Klangschale, aber viel mehr passiert eigentlich nicht.
Sodium brummt. Sodium knistert. Dies reine Element, auch Natrium genannt und auch ein Metall, scheint sich dick- und dünnflüssig durch etwas zu winden. Hier dominieren die elektrischen Frequenzen, viel Strom, sowohl solo also auch angenehm resonant in verschiedenen Tempi. Überraschend ineinander fallend in die sämig-wogenden Elektronenteppiche wispert erneut die bereits bekannte Stimme hie und da, von links nach rechts, von hinten nach vorne, ähnlich schizo-schrill wie in Helium, doch diesmal inmitten eines großvolumigen Rauschens, das wie Sodbrennen durch die Röhren der Mensch-Maschine blubbert.
Eine Reise durch das Innere, achtsam aufgebaut, füllig verwoben und am Ende fummelt ein blonder Barde auf seiner Laute zum Geleit durchs Gedärm Groß aufgebaut, ganz seicht ausgeblendet mit pfiffelndem Tön und in Folge dessen doch nur ein feuchter Furz.
Neon schließlich ist die vierte Komponente und wiederum ein edle, ein Edelgas und insofern im gleichen Aggregat wie der alchemistische Auftakt. Zurückhaltend und argwöhnisch begegnen sich Metallquellen und perkussive Rascheleien. Ein bisschen Stimme, ein bisschen No-Input-Mixing, ein bisschen Rausch, ein bisschen Plastik, ein Gong, der nicht gongt, überspannte Saiten und Kling und Klang. Eher abwechselnd und tatenlos, so wie das reaktionsträge Neon in seinem ureigensten Element. Der Schluss geriert zaghaft zur geigenhaften Horrorfilmbegleitung, aber finalisiert das Album mit offenem Ende und erschöpftem Fragezeichen.
Ist die Transmutation gelungen? Das Opus magnum, der Stein der Weisen, ist dies wohl nicht. Alchemical Allures hört sich weniger wie Musik und mehr wie eine Performance an.
Als Sound-Installation für eine Kunstausstellung, wo in einem weißen Raum Grasbüschel, Federn und Zweige an einer Schnur von einem Motor im Kreis gezogen werden und eine groteske Puppe dazu tanzt und launenhafte Phrasen tönt, ist dieses Klangerlebnis besser verortet. Eine Mixtur aus artifizieller Inszenierung und Kontemplation bis hin zum Allerlei, denn nur allzu oft und besonders in Silver werden an sich schöne Sounds weitestgehend brav aneinandergereiht wie in einem Hexenkessel, in den Elemente geworfen werden, die sich schlechterdings kaum verbinden lassen.
Das großräumliche der elektronischen Komponenten und die zumeist effektlosen perkussiven und vokalen Elementen stehen sich zu singulär gegenüber und lediglich in Sodium bricht die Membran auf und breitere Teppiche entrollen sich zu einer verwobenen Melange. Alles andere klingt gekünstelt und ist darob Kunst, aber es hat gleichsam einen unauthentischen Beiklang, der zuweilen vorführend und gar besserwisserisch rüberkommt.
Ist das Wiener Schmäh oder arrangierte Scharlatanerie? So allüresk die Kompositionen auch sein mögen, sie fügen sich ein in ein versuchungsreiches Konzeptalbum ritueller Elektrokunst: Alchemical Allures ist ein fundiertes Klangexperiment von Martina Claussen und Katharina Klement, eine intellektuelle Akustik-Performance zweier Künstlerinnen aus Österreich.
Gustav Roland Reudengeutz
MARTINA CLAUSSEN UND KATHARINA KLEMENT - ALCHEMICAL ALLURES ist auf Ventil Records erschienen.
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