Donnerstag, 27. Juni 2024
Schön, wenn Leverkusen Hardcore dokumentiert wird Pt. IVX
...Like this! (Beyond Music: Lars, Nils, Axel, Jan, Volker, PQ" Part 1.)
Das Schöne am Schreiben für einen Zine-Blog wie diesen hier, ist, dass einem Aktualität komplett egal sein kann.
Klar ist es schön, neue, gerade erschienenen Platten zu besprechen, um ganz vorne dabei zu sein.
Aber mal ehrlich, notwendig ist das nicht.
Hier geht es nicht um Musikjournalismus, der eine gewisse Tagesaktualität als Anspruch hat, denn
1.) sollte Fanzine machen meiner Meinung nach nie einem Zeitdruck oder Aktualitätszwang unterliegen (wenigstens ein Medium sollte dem den Akteuren innewohnenden Slackertum gerecht werden) und
2.) verdient hier ja keiner Geld, ergo gibt es auch keinen Druck von irgendwelchen Werbekunden, dass man die oder jene gerade erschienene Scheibe besprechen müsste. Zeitnah am besten. Zeitnah. Ein ebenso schönes wie beschissenes Wort.
Was mich zu der vor mir liegenden Doppel-CD bringt. Die liegt hier schon länger rum, genauer gesagt, hat sie mir Jan vom TRUST 2020 zur Rezension zukommen lassen . Nun komme ich mal dazu, so kann's gehen. Geht es dann ja auch.
Also, was haben wir hier? Ein Zeitdokument könnte man es nennen, denn hier wird eine - oder vielleicht auch die? Keine Ahnung, ob es mehrere Szeneblasen da gab - Hardcore-Szene aus Leverkusen Mitte der 90er Jahre mit diversen Aufnahmen nachgewiesen.
Auf zwei CDs bekommt man einen ganzen Sack voll Aufnahmen von Bands wie John Hillerman (noch nie gehört), Beyond a Minority (kenn ich nicht), Leviathan (Noch nie gehört), Infamous Minds (kenn ich nicht), Melodic Coeroperation (noch nie gehört), Don't call me Nilsi (kenn ich nicht), The Optimist Club (noch nie gehört) La Pistola (kenn ich nicht), The Pomplautzki Expierence (???), U-Boot (noch nie gehört), Betty (kenn ich nicht), New Punkrock Elite (noch nie gehört), Die Pastellbrüder (Kenn ich nicht) geliefert.
CD 1 ist dabei ein Konvolut von Live-Aufnahmen, während CD 2 die Aufnahmen eines Tapesamplers namens "FVS goes Heavy" und eine Single namens "Fuck Music for Fuck people" zusammenfasst.
Musikalisch erinnert mich das schon an das, was Mitte der 90er oft in NRW, in den Vororten, den Reihenhaussiedlungen zu hören war. Wütender HC, der Art, wie man ihn auf Festivals wie dem Dynamo oder ähnlichem zu hören bekam, melodischer Punkrock, weil alle gerade voll auf Bad Religion (das Cover ist eh eine Referenz an deren erstes Album) abfuhren, Schlager-Indie-Dada, weil alle Helge Schneider und das 70er-Schlager-Revival gerade toll fanden. Grindcore auch. Vieles mit einer irgendwie metallischen Gitarre versehen, die im Nachhinein echt dünne klingt.
Ich kann es mir richtig vorstellen, was für Klamotten dazu getragen wurden: Kapus und Shirts von Sick Of it All, Nirvana, Biohazard oder NOFX. Baggy Pants. Dazu grungy lange Haare und irgendwer hat immer sein Skateboard dabei gehabt.
Gesoffen und gekifft wurde wahrscheinlich auch und somit unterschied sich die John-Hillermann-Clique wohl nicht allzusehr von den 90er-Punkblasen in anderen nordwestdeutschen Mittelzentren.
Diese Compilation erinnert mich an den ersten Tapesampler, den ich je rausgebracht habe. Hieß "Hamm is just a 4-letter word" und sollte einen Blick auf die Indie/Punkbands, die eben aus Hamm/Westfalen, also meinem unmittelbaren Sozialraum, kamen. Da es dort keine einheitliche Szene gab, wurde es ein bunter Teppich aus Bands, die Metal, Punk, Indie, Fun-Punk spielten. Ähnlich wie auf dieser Compilation.
Wählerisch konnte man nicht sein und auch auf dem "..Like This"-Sampler ist es ähnlich. Teilweise sehr unterschiedliche Bands, die den oben genannten Genres entsprechen. Es ging mehr darum, den geographischen Raum musikalisch abzubilden, anstatt unterschiedliche Facetten einer Musikkategorie darzustellen. Was auch nicht möglich gewesen wäre, in Hamm genausowenig wie in Leverkusen, weil es eben zuwenig Bands von einer Gattung gab. Da wäre schnell Schluß gewesen mit Sampler machen. Aber so schöne Terence Hill/Bud Spencer-Intros hatten wir damals nicht.
Diese "Like This"-Doppel_CD ist in erster Linie eine nettes Nostalgie-Zuckerbrot für alle Beteiligten - augenscheinlich nur Typen, oder sehr wenige Frauen - ob sie einen größeren Wissensgewinn für die Darstellung von Punk in Deutschland in den 90ern darstellt, müsste man diskutieren. Ich nehme die Position "Wohl eher nicht" ein.
Aber vielleicht ist dies nur ein Teil eines größeren Panoramas, wenn der die deutschsprachige Indie/Punk-Musiklandschaft vor 25-30 Jahren dargestellt werden soll.
Ich versteige mich wohl nicht, wenn ich zumindest behaupte, dass es sich dabei nicht gerade um revolutionäre Klein-Szenen handelte, die musikalisch einzigartiges geschaffen haben. Wir waren halt pickelige weiße Mittelschichtskids, die ihren Spaß haben wollten. Das hat jeden ganz woanders hingeführt. So kann's gehen.
Gary Flanell
Donnerstag, 20. Juni 2024
Da kann aber die Band jetzt nichts für Pt. XXI
Meine Schulter riecht nach Teer. Zugsalbe. Hab da ein Pickel. Das riecht auch die Frau, die neben mir steht, denn sie schaut skeptisch zu mir rüber. Man riecht sich hier sehr schnell, weil der Frannz Club, in dem wir uns gerade befinden, ausverkauft ist.
400 Leute sind hier, und alle wollen NICHTSEATTLE bei letzten Konzert ihrer "Haus"-Tour sehen. Die Platte ist cool, ich hör mir das zuhause gern mal an, wenn ich was ruhiges haben will. Über die sehr gute "Fleißig"-Single habe ich mich ja schon vor einiger Zeit hier ausgelassen.
Ich bin hier allerdings eher zufällig, denn JENS AUSDERWÄSCHE von BAUMARKT spielt vor NICHTSEATTLE und hat mich auf die Gästeliste gesetzt. Der Frannzclub macht schon am Eingang nicht den sympathischsten Eindruck. Halbvolle Wasserflaschen müssen abgegeben werden, Kollege Huber wird es verweigert, ein paar Flyer seiner Bookingagentur an der Garderobe auszulegen. Die stellen sich ganz schön an hier.
Drinnen dann erster Halt bei der Frau, die meine Schulter riecht. Ich mag den Geruch von Teer und auch wenn der streng ist. Es ist ein geiler Gestank. Werde mich demnächst mal komplett mit Zugsalbe einreiben und dann auf einen Keller-Rave gehen.
Ich schiebe mich weiter nach vorne, um zu sehen, was JENS AUSDERWÄSCHE so auf der Bühne macht. Nur mit einer Akustik-Gitarre sitzt sie barfuß auf einem Hocker. Bringt ihre leicht verträumten, man könnte sagen, angenehm versponnenen Songs in den unsympathischen Club. Das Publikum klatscht nach jedem Song höflich bis zurückhaltend. Zugabe wird nicht gefordert.
Als NICHSTEATTLE anfangen, bin ich irgendwie rechts neben der Bühne an der Bar gelandet. Treffe dort YXILONIA, eine alte Freundin, bei der ich mich sehr lange nicht gemeldet habe. Dafür gibt's Gründe, aber die gehören nicht hierher. Wir kommen ins Reden, auch als NICHTSEATTLE den zweiten, dritten Song spielen. Wir reden über das Hamburger Internat und die dazugehörige Doku, über die gerade alle diskutieren. Über die Schluffiklamotten der Musiker*innen auf der Bühne, die so grunge-slacker-mäßig aussehen, wie ein Hamburger-Schule-Reenactement. Über die Tatsache, dass die Band recht jung ist, der Großteil des Publikums, aber recht alt. Wir ja auch. Warum die Band keine jüngeren Leute im größeren Maß anspricht. Warum wir nicht mehr in so komischen Tocotronic-Oma-Klamotten rumlaufen würden. Wir lachen recht viel.
Dann neben uns ein empörter Einwurf von links. Unsere Gespräch sei doch eher kontraproduktiv für die Atmosphäre. Wir sollen doch gefälligst mal ruhig sein.
Das kommt von irgend so einem Pferdegesicht in Adidasjacke mit Goldstreifen. Steht da mit seinem versträhnten Freund in Trainingsjacke rum.
Oha. Wir quasseln also zuviel und zu laut. Na sowas. Wir sind ziemlich baff, wegen der rüden Ansprache und der Tatsache, dass wir ja hier auf einem ausverkauften Clubkonzert sind, wo mit ein paar Hintergrundgeräuschen zu rechnen ist.
Ganz Sozialarbeiter versuche ich mich rasch an einem Perspektivwechsel. Wie wäre das, wenn ich auf einem Konzert wäre, und neben mir quatschen zwei Leute für mich zu laut? Wie ich reagieren würde, weiß ich nicht genau. Ich weiß aber, dass ich andere Leute nicht zurechtweisen würde wie eine doofe Deutschlehrerin. Wahrscheinlich würde ich entweder woanders hingehen oder das einfach akzeptieren.
Gehört zum Konzert mit 400 Leuten nun mal dazu, dass sich Leute unterhalten. Die Adidas-Jacke schaut uns nochmal böse an und gibt sich dann mit ihrem fransenhaarigen Boyfriend wieder der Atmosphäre hin. Wir wispern noch ein wenig, bis YXILONIA sich eine Sitzgelegenheit sucht.
Dieses Gemecker hängt mir nach. Meine Fresse, "Kontraproduktiv für die Atmosphäre". Ich war vorher schon genervt von einem langen Arbeitstag. Dann vom scheiß Prenzlauer Berg, der mir bei der Fahrt durch Husemann- und Sredzkistraße und seinen Edel-Restaurant-Altbaufassaden immer abgehobener und arroganter erscheint. Einem Stadtteil, der sich echt zum Schlechten entwickelt hat. Vom Frannzclub. Vielleicht bin ich auch einfach müde und deshalb schlecht gelaunt.
Und dann stehe ich auf einem Konzert, voll mit Leuten, die ich allein vor ihrer Art ebenso schnöselig und doof finde wie diesen Kiez und deswegen allesamt in diesem Reichenghetto Prenzlauer Berg wohnhaft verorte. Alle zusammen hier im Laden kriegen wir sicher 1000 Menschenjahre zusammen, ich nehme schon mal 50 davon. Trotzdem ist mir der Großteil dieser Menschen fremd und eigentlich finde ich 395 von den 400 Leuten in diesem Laden scheiße. Grundlos. Andererseits: Eigentlich mal wieder ganz geil, wegen nix Scheißlaune zu haben.
NICHTSEATTLE spielen derweil ihren zart-melancholischen Indie-Rock/Pop mit PJ Harvey-Versatz souverän runter. Da sitzt alles perfekt, kein schiefer Ton, kein versauter Einsatz, alles gut, aber eben auch keine Unberechenbarkeit. Sie sind so gut eingespielt, wie es am Ende einer Tour sein sollte. Eigentlich genau wie auf Platte. Tja.
Der Band ist kein Vorwurf zu machen, dass ich mich hier nicht wohlfühle. Eher dem Publikum. Ich finde die Pärchen scheiße, die bei den romantischen Klimpersongs nicht gestört werden wollen und damit eine angestrengte Atmosphäre kreieren, die nach Stock im Arsch riecht.
Ich finde aber auch die rücksichtslosen Typen scheiße, die sich wie selbstverständlich an allen anderen vorbei immer weiter Richtung Bühne bohren, OBWOHL offensichtlich kein Platz mehr ist und damit kleineren Menschen auch den letzten Blick auf die Bühne nehmen.
Wie gesagt, alles meine Alterskohorte, daran liegt es nicht. Ich befürchte, hier drückt mich eher der Klassismus, denn wir sehen hier ein eher gutbürgerliches Publikum. Gut gekleidet und frisiert, bissl alternativ, aber stilvoll, nicht zu schick, aber man kann das Geld schon erkennen.
PrenzlBergbewohner*innen halt. Leute, die in den Wohnungen sitzen, die NICHTSEATTLE meinen, wenn sie von "arschhohen Decken singen". Und die nicht verstehen, dass genau sie angesprochen sind. Leute, die auch "Bodentiefe Fenster" nicht verstehen würden. Keine Alkis, keine Kern-Assis im äußerlichen Sinn. Die wahrscheinlich auch Max Giesinger und den ganzen Deutschpop-Poetenscheiß gut finden. Und früher mal "die Tocos" (lach!). Und deshalb eben auch NICHTSEATTLE. Wegen der Musik, nicht wegen der Texte.
Das triggert was in mir. Eine große Abneigung gegen ähnliche Typen, gut gebildet, gut aussehend, gut verdienend. Meistens von Haus aus. Schick. Aber irgendwie auch unglaublich uncool. Langweilige Gestalten allesamt. Ich habe das Gefühl, der ganze Club ist voller Lehrer und Lehrerinnen. Sind im Frannz wahrscheinlich nur wenige, aber meine Knöpfe sind jetzt gedrückt: Ich find hier alle scheiße. Vielleicht finde ich deshalb auch den ganzen Prenzlauer Berg mittlerweile scheiße, und vielleicht ficken mich da meine Herkunft und meine Erfahrungen seit langer Zeit mal wieder ganz hart.
Irgendwann mache ich die Augen auf. NICHTSEATTLE bringen gerade den "Frau sein"-Song. Auch der voller Gefühl und zart gespielt, wie alles. Kennen hier auch alle und finden alle dufte. Die Sängerin hat schöne Hände, das sieht man beim Gitarre spielen deutlich. Die Musiker*innen alle nett und zurückhaltend, ganz ohne Posen. Ist das an sich schon eine Pose? Ich merke, dass mir jetzt schon zweimal im Stehen die Augen zugefallen sind. So spannend ist das hier. Wäre aber bei jedem anderen Konzert genauso. Also gehe ich, bevor ich komplett einschlafe. Zuhause lege ich eine Platte von LA TWAL auf. Das bringt Ruhe rein.
Wenn NICHTSEATTLE irgendwann wieder in kleineren Läden spielen, so mit 100 Leuten, alles ein bißchen stinkiger und kaputter, dann schau ich wieder mal rein. Aber sicher nie mehr im Frannz. Bis dahin reicht mir das auf Platte. Da kann aber die Band jetzt nichts für.
Gary Flanell
400 Leute sind hier, und alle wollen NICHTSEATTLE bei letzten Konzert ihrer "Haus"-Tour sehen. Die Platte ist cool, ich hör mir das zuhause gern mal an, wenn ich was ruhiges haben will. Über die sehr gute "Fleißig"-Single habe ich mich ja schon vor einiger Zeit hier ausgelassen.
Ich bin hier allerdings eher zufällig, denn JENS AUSDERWÄSCHE von BAUMARKT spielt vor NICHTSEATTLE und hat mich auf die Gästeliste gesetzt. Der Frannzclub macht schon am Eingang nicht den sympathischsten Eindruck. Halbvolle Wasserflaschen müssen abgegeben werden, Kollege Huber wird es verweigert, ein paar Flyer seiner Bookingagentur an der Garderobe auszulegen. Die stellen sich ganz schön an hier.
Drinnen dann erster Halt bei der Frau, die meine Schulter riecht. Ich mag den Geruch von Teer und auch wenn der streng ist. Es ist ein geiler Gestank. Werde mich demnächst mal komplett mit Zugsalbe einreiben und dann auf einen Keller-Rave gehen.
Ich schiebe mich weiter nach vorne, um zu sehen, was JENS AUSDERWÄSCHE so auf der Bühne macht. Nur mit einer Akustik-Gitarre sitzt sie barfuß auf einem Hocker. Bringt ihre leicht verträumten, man könnte sagen, angenehm versponnenen Songs in den unsympathischen Club. Das Publikum klatscht nach jedem Song höflich bis zurückhaltend. Zugabe wird nicht gefordert.
Als NICHSTEATTLE anfangen, bin ich irgendwie rechts neben der Bühne an der Bar gelandet. Treffe dort YXILONIA, eine alte Freundin, bei der ich mich sehr lange nicht gemeldet habe. Dafür gibt's Gründe, aber die gehören nicht hierher. Wir kommen ins Reden, auch als NICHTSEATTLE den zweiten, dritten Song spielen. Wir reden über das Hamburger Internat und die dazugehörige Doku, über die gerade alle diskutieren. Über die Schluffiklamotten der Musiker*innen auf der Bühne, die so grunge-slacker-mäßig aussehen, wie ein Hamburger-Schule-Reenactement. Über die Tatsache, dass die Band recht jung ist, der Großteil des Publikums, aber recht alt. Wir ja auch. Warum die Band keine jüngeren Leute im größeren Maß anspricht. Warum wir nicht mehr in so komischen Tocotronic-Oma-Klamotten rumlaufen würden. Wir lachen recht viel.
Dann neben uns ein empörter Einwurf von links. Unsere Gespräch sei doch eher kontraproduktiv für die Atmosphäre. Wir sollen doch gefälligst mal ruhig sein.
Das kommt von irgend so einem Pferdegesicht in Adidasjacke mit Goldstreifen. Steht da mit seinem versträhnten Freund in Trainingsjacke rum.
Oha. Wir quasseln also zuviel und zu laut. Na sowas. Wir sind ziemlich baff, wegen der rüden Ansprache und der Tatsache, dass wir ja hier auf einem ausverkauften Clubkonzert sind, wo mit ein paar Hintergrundgeräuschen zu rechnen ist.
Ganz Sozialarbeiter versuche ich mich rasch an einem Perspektivwechsel. Wie wäre das, wenn ich auf einem Konzert wäre, und neben mir quatschen zwei Leute für mich zu laut? Wie ich reagieren würde, weiß ich nicht genau. Ich weiß aber, dass ich andere Leute nicht zurechtweisen würde wie eine doofe Deutschlehrerin. Wahrscheinlich würde ich entweder woanders hingehen oder das einfach akzeptieren.
Gehört zum Konzert mit 400 Leuten nun mal dazu, dass sich Leute unterhalten. Die Adidas-Jacke schaut uns nochmal böse an und gibt sich dann mit ihrem fransenhaarigen Boyfriend wieder der Atmosphäre hin. Wir wispern noch ein wenig, bis YXILONIA sich eine Sitzgelegenheit sucht.
Dieses Gemecker hängt mir nach. Meine Fresse, "Kontraproduktiv für die Atmosphäre". Ich war vorher schon genervt von einem langen Arbeitstag. Dann vom scheiß Prenzlauer Berg, der mir bei der Fahrt durch Husemann- und Sredzkistraße und seinen Edel-Restaurant-Altbaufassaden immer abgehobener und arroganter erscheint. Einem Stadtteil, der sich echt zum Schlechten entwickelt hat. Vom Frannzclub. Vielleicht bin ich auch einfach müde und deshalb schlecht gelaunt.
Und dann stehe ich auf einem Konzert, voll mit Leuten, die ich allein vor ihrer Art ebenso schnöselig und doof finde wie diesen Kiez und deswegen allesamt in diesem Reichenghetto Prenzlauer Berg wohnhaft verorte. Alle zusammen hier im Laden kriegen wir sicher 1000 Menschenjahre zusammen, ich nehme schon mal 50 davon. Trotzdem ist mir der Großteil dieser Menschen fremd und eigentlich finde ich 395 von den 400 Leuten in diesem Laden scheiße. Grundlos. Andererseits: Eigentlich mal wieder ganz geil, wegen nix Scheißlaune zu haben.
NICHTSEATTLE spielen derweil ihren zart-melancholischen Indie-Rock/Pop mit PJ Harvey-Versatz souverän runter. Da sitzt alles perfekt, kein schiefer Ton, kein versauter Einsatz, alles gut, aber eben auch keine Unberechenbarkeit. Sie sind so gut eingespielt, wie es am Ende einer Tour sein sollte. Eigentlich genau wie auf Platte. Tja.
Der Band ist kein Vorwurf zu machen, dass ich mich hier nicht wohlfühle. Eher dem Publikum. Ich finde die Pärchen scheiße, die bei den romantischen Klimpersongs nicht gestört werden wollen und damit eine angestrengte Atmosphäre kreieren, die nach Stock im Arsch riecht.
Ich finde aber auch die rücksichtslosen Typen scheiße, die sich wie selbstverständlich an allen anderen vorbei immer weiter Richtung Bühne bohren, OBWOHL offensichtlich kein Platz mehr ist und damit kleineren Menschen auch den letzten Blick auf die Bühne nehmen.
Wie gesagt, alles meine Alterskohorte, daran liegt es nicht. Ich befürchte, hier drückt mich eher der Klassismus, denn wir sehen hier ein eher gutbürgerliches Publikum. Gut gekleidet und frisiert, bissl alternativ, aber stilvoll, nicht zu schick, aber man kann das Geld schon erkennen.
PrenzlBergbewohner*innen halt. Leute, die in den Wohnungen sitzen, die NICHTSEATTLE meinen, wenn sie von "arschhohen Decken singen". Und die nicht verstehen, dass genau sie angesprochen sind. Leute, die auch "Bodentiefe Fenster" nicht verstehen würden. Keine Alkis, keine Kern-Assis im äußerlichen Sinn. Die wahrscheinlich auch Max Giesinger und den ganzen Deutschpop-Poetenscheiß gut finden. Und früher mal "die Tocos" (lach!). Und deshalb eben auch NICHTSEATTLE. Wegen der Musik, nicht wegen der Texte.
Das triggert was in mir. Eine große Abneigung gegen ähnliche Typen, gut gebildet, gut aussehend, gut verdienend. Meistens von Haus aus. Schick. Aber irgendwie auch unglaublich uncool. Langweilige Gestalten allesamt. Ich habe das Gefühl, der ganze Club ist voller Lehrer und Lehrerinnen. Sind im Frannz wahrscheinlich nur wenige, aber meine Knöpfe sind jetzt gedrückt: Ich find hier alle scheiße. Vielleicht finde ich deshalb auch den ganzen Prenzlauer Berg mittlerweile scheiße, und vielleicht ficken mich da meine Herkunft und meine Erfahrungen seit langer Zeit mal wieder ganz hart.
Irgendwann mache ich die Augen auf. NICHTSEATTLE bringen gerade den "Frau sein"-Song. Auch der voller Gefühl und zart gespielt, wie alles. Kennen hier auch alle und finden alle dufte. Die Sängerin hat schöne Hände, das sieht man beim Gitarre spielen deutlich. Die Musiker*innen alle nett und zurückhaltend, ganz ohne Posen. Ist das an sich schon eine Pose? Ich merke, dass mir jetzt schon zweimal im Stehen die Augen zugefallen sind. So spannend ist das hier. Wäre aber bei jedem anderen Konzert genauso. Also gehe ich, bevor ich komplett einschlafe. Zuhause lege ich eine Platte von LA TWAL auf. Das bringt Ruhe rein.
Wenn NICHTSEATTLE irgendwann wieder in kleineren Läden spielen, so mit 100 Leuten, alles ein bißchen stinkiger und kaputter, dann schau ich wieder mal rein. Aber sicher nie mehr im Frannz. Bis dahin reicht mir das auf Platte. Da kann aber die Band jetzt nichts für.
Gary Flanell
Donnerstag, 13. Juni 2024
Aus die Maus Pt. I
Ingo Scheel - Schlussakkord
Der Tod gehört zum Leben. Wissen wir alle.
Fun Fact: Der Tod gehört auch zur Popkultur. Beide gehen eigentlich schon seit den Anfängen in einer Beziehung durch die Zeit. Dabei ist natürlich das Tragödienhafte beim Tod eines Popstars das Wesentliche. Optimalerweise muss es ein Tod in jungen Jahren sein.
Klar, wenn der letzte Beatle an Alterschwäche stirbt, Keith Richards sein letztes Blues-Lick gespielt und Johnny Rotten zum letzten Mal rumkrakeelt hat, dann ist das auch tragisch. Aber anders. So tragisch, wie der Tag, an dem Oma und Opa stirbt. Irgendwann passiert es halt und damit müssen wir alle lernen, umzugehen. All die Musiker, die es über die Mitte 50 geschaft haben, sind halt nicht mehr so aufsehenerregend.
Es gibt Verschwörungstheorien, dass Elvis noch lebt und irgendwo in Texas als Tankwart arbeitet (naja, jetzt mit 89 Jahren wohl auch nicht mehr). Sowas gibt es beispielsweise von Tina Turner oder Johnny Cash nicht. Weil die halt alt und auf medizinisch nachweisbare Weise gestorben sind. Somit war damit zu rechnen.
Würde Taylor Swift in den nächsten zwei bis drei Jahren sterben - was nicht zu wünschen ist - will ich mir gar nicht ausmalen, was für absurde Theorien über ihren Tod oder dessen Vortäuschung ins Kraut schießen würden. Live fast, die young bleibt somit der beste Dünger für Pop-Mythen.
Also: Die Mythen und die Geschichten bilden sich um jene, die früh gestorben sind. Da das Leben als Pop/Rockstar immer eine ordentliche Dosis Exzess und Exzentrik beinhaltet, dazu oft eine grundlegende Unruhe, Weltschmerz, Depression und fiebrige Nervosität, inklusive der Neigung gute Ratschläge nicht anzunehmen UND der menschliche Körper für so einen Lebensentwurf eher schlecht gemacht ist, gibt eine Menge Künstler*innen, die schon früh und sicher oft unabsichtlich von der Bühne gegangen sind.
Hinzu kommt aus der Perspektive der Fans sicher die tragische Fallhöhe. Denn der/die Popstar hat aus dieser Sicht ja eigentlich alles: Aufmerksamkeit, Ruhm, Talent, meist jede Menge Geld und ein gutes Netzwerk, um bis in das Rentenalter weiter Musik zu machen. Dazu wird ihm/ihr oft die Freiheit zugeschrieben, ab einem gewissen Erfolgslevel, künstlerisch eh alles machen zu können, was man will, weil sich jeder Output sowieso millionenfach verkauft.
Und trotzdem: Wenn ein Popstar trotz all dieser Vorraussetzungen frühzeitig aus dem Leben gefetzt wird (Ich hörte Buddy Holly ist mit seiner Brille verwest, aber genau weiß ich das nicht), dann ist Tragik angesagt. Und die verkauft sich natürlich besonders gut.
Andererseits gehört auch dazu, dass ein Star, der früh gestorben ist, nunmal keinen Scheiß mehr produzieren kann. Ökonomisch zynisch und wunderbar zugleich. Die Hits werden in Erinnerung bleiben und mögliche experimentelle Peinlichkeiten sind nun ausgeschlossen. Ein Film, ein Biopic, eine Doku, ein Konzertmitschnitt, ja das geht natürlich nach einer gewissen Zeit auch immer.
Sagen wir mal 20 Jahre danach, das passt doch, da fangen wir jetzt mal langsam an zu planen, dann wird das spitze. Kunsthandwerklich topfitte Coverbands können dazu aus dem vorliegenden Werk ein auskömmliches Einkommen genenerieren. Des Popstars früher Tod ist also keine so schlechte Fügung, vom zynischen Hochstand der Marktwirtschaft betrachtet.
Wozu reflektiere ich das hier alles? Weil Ingo Scheel, umtriebiger Musikjournalist (u.a. Visions), mit "Schlussakord - Wie Musiklegenden für immer verstummten" eine unterhaltsame Sammlung von Episoden über tote Rockstars zusmmengetragen. Die Idee ist nicht ganz neu, aber genau deshalb ist es einen Blick wert, ob und was hier anders oder besser gemacht wurde.
Episodenhaft werden hier 30 popkulturelle Todesfälle dargestellt. Die Rahmendaten zu fast aller hier aufgeführten Personen kann man heutzutage bei Wikipedia abfragen. Ingo Scheel schafft es aber, die Lebens- und Todesumstände jedes Mal in kleinen Geschichten sehr unterhaltsam und bildlich darzustellen. Dass dabei die üblichen Verdächtigen (John Lennon, Janis Joplin, Jim Morrisson, Brian Jones, Whitney Houston) am Start sind, ist nicht verwunderlich.
Das schöne an diesem Buch ist, dass auch ein paar Menschen dabei sind, die halt nicht zum ewig gleichen Kanon der Jung-verstorbenen Popstars gehören: Mal Evans, Cathy Wayne oder Darrell Banks werden hier gebührend geehrt. Die sind eben oft nicht mit dabei, wenn man auf einer langen Autofahrt mal wieder das A-Z-Spiel der toten Rockstars spielt.
Auch schön die Tatsache, dass Scheel sich weder an ein Genre klammert, (von Metal über Rock/Pop, Soul bis zu Schlager ist alles dabei. HipHop allerdings gar nicht), noch eine zeitliche Einschränkung macht. Von den 50ern ins ins 21. Jahrhundert finden sich viel zu früh verstorbene Pop-Akteur*innen.
Was mich ein wenig irritiert, sind die Cliffhanger am Ende jedes Kapitels, die jeweils auf den nächsten Abschnitt im Buch hinweisen. Das ist sicher nett gemeint, allerdings bringt das manchmal auch einen gewissen "Geschichten aus der Gruft"-Trashfaktor mit rein. So nach dem Motto "Seltsam, aber so steht es geschrieben..."
"Schlussakkord" muss man nicht an einem Stück von vorne nach hinten lesen. Ich habe, wenig überraschend, mit dem Kapitel über G.G. Allin angefangen. Andererseits verführen diese Cliffhanger dazu, einfach weiterzulesen, obwohl man eigentlich nun mal was ganz anderes zu tun hätte. So lässt sich das Buch doch gut an einem Stück wegbingen. Es ist unterhaltsame, leicht morbide Lektüre, nicht zu verkopft und alles in schönen kleinen Häppchen verpackt. Dazu grafisch hübsch aufbereitet durch die stilvollen Schwarzweiß-Illustrationen von Oliver Schmitt. Quasi eine popliterarische Tüte Chips über den Tod. Hat man schnell weggemampft. Lecker it is.
Eine Sache, über die zu sprechen wäre, ist das Geschlechterverhältnis der Aufgeführten: 30 Texte sind drin, davon neun über Frauen. So richtig ausgeglichen ist das nicht, andererseits hätte das auch noch viel schlimmer aussehen können.
Ein Buch nur über tote Rockstar-Männer wäre aber heutzutage sicher nicht mehr zu vermitteln. Es ließe sich auch darüber nachdenken, ob und warum sich Männer im Pop-Business öfter ins Aus schießen. Wenn es dazu belastbare Zahlen gibt, würde ich vermuten, dass die gesellschaftlichen Erwartungen an Männer im Pop teilweise so hart sind, dass sie nur noch durch heftige Betäubung bis zum Tod auszuhalten sind. Was wiederum zeigt, dass das Patriarchat uns alle fickt. Frauen aber nochmal mehr als Männer, eh klar. Ok, vielleicht war es manchmal auch einfach unbedarftes Herumexperimentieren mit Drogen.
Noch was? Ja. Die Auswahlstrategie der Künstler*innen, die es ins Buch geschafft haben, ist für mich nicht ganz nachvollziehbar: Ganz viele weltweit Bekannte aus dem anglo-amerikanischen Raum, klar. Aber eben auch Alexandra, die nun mal Schlager gemacht hat und nur hierzulande einen gewissen Status hatte. Aber wie passt sie in die Reihe der anderen? Wahrscheinlich geht es um das Mythenhafte, eben darum, welcher Frühtod eine gute Story hergibt. und das ist nunmal eine Kerneigenschaft von Pop - die gute und tragische Story hinter der Figur auf der Bühne. So gesehen war Ikarus wahrscheinlich der erste Popstar.
Natürlich ist so ein Buch nie komplett.
Wenn man ein wenig überlegt, gibt es noch zig Leute, deren Geschichte hier erzählt werden müsste: Mia Zapata, Ian Curtis, Hillel Slovak, Fela Kuti, 2Pac, Notorious B.I.G. fallen mir als erstes ein. Hinzu kommt, dass Scheel sich meist auf die historisch bekannten Popszenen des anglo-amerikanischen Raumes konzentriert. In Zeiten von globalisierter Popkultur wäre ein Blick auf die tragisch verstorbenen Popstars in Asien, Afrika, Südamerika oder auch Europa (Ost und West) sicher interessant. Aber das bleibt möglicherweise eine Option für eine Fortsetzung der Schussakkorde.
"Schlussakord - Wie Musiklegenden für immer verstummten" von Ingo Scheel ist im Ventil Verlag erschienen.
Gary Flanell
Donnerstag, 6. Juni 2024
Schön, wenn Punkbands noch Live-Platten rausbringen Pt. XIXIXIXI
G31
Live auf St. Pauli
Was ist das denn für ein Bandname?
Klingt irgendwie nach Sonderabteilung der Geheimpolizei, oder so? Steht aber im Endeffekt nur für Gärtnerstraße 31, der Proberaumadresse dieser Band aus Hamburg. Und die haben bereits zwei Studio-Alben veröffentlicht. Es ist also dringend an der Zeit für ein Live-Album…
Naja gut, in der Regel machen das hat Bands, denen nichts mehr einfällt gegen Ende ihrer Karriere. Aber das unterstellen wir den fünf HanseatInnen mal nicht. Aufgenommen wurden die zehn Songs des Albums im Indra beim „St. Pauli Punk Festival“ im vergangenen Jahr.
Somit handelt es sich um ein Heimspiel der Band, das diese auch als solches solide ins Ziel bringt. Auch wenn so manche Ansage ein wenig befremdlich klingt und hier und da das ganze doch etwas arg rüpelig, so versprühen G31 durchaus Charme. Und Sympathiepunkte sammeln sie auch mit ihrem Deutschpunk auch ein.
Vintage-Freunde mit Hang zur Retrospektive finden sicher sofort Gefallen an Songs wie „Punkern gehen“, „Revolution spielen“ oder Flaschenwerfer“. Das erinnert stark an die 80er Jahre und Bands wie Hans-A-Plast, Rotzkotz oder Bluttat. Sängerin Mitra sorgt da schon für Authentizität. Die raue Produktion tut ihr übriges. Nennen wir es Zeitdokument oder ein weiteres Puzzlestück der großen Hamburger Punk-Historie.
Abel Gebhardt
G31 - Live auf St. Pauli ist auf Bitzcore rausgekommen