Sonntag, 26. Dezember 2021
Anker (Zine Review)
Oh boy, lange kein echtes Zine mehr in der Hand gehabt. Wüsste auch gar nicht mehr, wo ich eins kriegen sollte. Zine-Treffen, -Frühstücke oder -Messen sind ja ähnlich wie Konzerte jetzt gerade nicht so möglich. Muss auch sagen, dass ich lange kein echtes Interesse an Zines hatte. Liegt eventuell an der eigenen Selbstausbeuterei fürs Renfield - konnte das alles irgendwann nicht mehr sehen.
Jetzt hat mir allerdings völlig überraschend Chriz, den ich schon seit einigen Jahren kenne und unsere gemeinsamen, wenn auch seltenen Spaziergänge auf Berliner Kiez-Friedhöfen sehr schätze, sein neuestes Heft zukommen lassen. Früher dachte ich immer: Zines brauchen so eine Regelmäßigkeit. Wenn du ein Heft machst, dann musst du immer stringent dabei bleiben, was Name, Struktur und Layout angeht. Merke aber mittlerweile: So eine dämliche Corporate-Identity-Strategie braucht es gar nicht. Und das ist ja das Schöne am Zine-machen. Chriz hat das ganz gut verinnerlicht. Das hier ist nämlich keine neue Ausgabe seiner früheren Zines (Z.B. Massenmörder züchten Blumen), sondern eins mit neuem Namen - ANKER.
Der ANKER ist Zine im besten Sinne: Cut & Paste (a.k.a. Schnipsellayout. Mag den Begriff gar nicht mehr so.), aber weniger so punkrock-schockmäßig, sondern recht aufgeräumt. Inhaltlich gibt es sehr persönliche und gute Texte, vieles davon kann ich sehr gut nachvollziehen, gerade die Texte, in denen es um Erschöpfung aufgrund von Arbeit und Coronabedingungen geht und wie man da raus kommen kann. Ich merke, dass Zine machen für Chriz eine sehr wichtige kreative Tätigkeit ist, um einen Ausgleich zu finden zu den täglichen Anforderungen der Lohnarbeitsstrukturen und allem, was dadurch an den Rand gedrängt wird.
Sehr cool finde ich im Anker den ausführlichen Urlaubsbericht aus Portugal inklusive des Interviews mit Nürni vom CASA DO BURRO, einem wohl selbstverwalteten Bauernhof/Raum/Platz am Monchique-Gebirge in Portugal. Scheint ein sehr schöner und guter Ort zu sein - sofort mal auf die Liste der zu besuchenden Orte setzen. Leider wurde die Casa 2020 von einem Brand heimgesucht, der Nürni und seiner Familie und Crew die komplette Lebensgrundlage entzogen hat. Nun ist es Ende 2021, ich habe keine Ahnung, wie es um das "Eselshaus" heute steht, aber wer helfen will und kann, kann sich gern unter casadoburro@web.de mit Nürni in Verbindung setzen.
Insgesamt hat mir das "ANKER"-Zine gezeigt, dass man sich das ganze Brimborium ums Zine-Machen, wie es bei vielen anderen Fan/Musik-Zies, auch beim Renfield lange Zeit üblich war - regelmäßige Erscheinungsweise, hohe Auflage, Print not Copy, Layout am Rechner, Fest zum Erscheinen, Werbeanzeigen diesdas - sparen kann, wenn das eigene Auskommen davon icht abhängt. Finde, dass diese reduzierte Produktionsweise wieder dazu führt, dass Zinemachen Spaß macht und nicht in belastende Arbeit, von der mensch eh schon genug an den Hacken hat, ausartet. Merke, dass ich so langsam doch mal wieder Bock hätte, ein Heft zu machen. Wer weiß, was kommt.
Anker-Zine: A5, s/w, 34 S., Kontakt: chriz@42zines.de
Gary Flanell
P.S.: Die Musikreferenz: Irgendwo im Anker erwähnt Chriz den Song "Arbeit ist Scheiße (keine aber auch)" von MÖNSTER. Kannte ich nicht, musste ich mir dann doch mal anhören. Gutes Ding, I like.
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