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Dienstag, 28. April 2015

Der Butterfly-Effekt

Kurz vor dem revolutionären Ersten Mai macht die Renfield-Crew eine praktische Übung in Solidarität. Zu diesem Datum werden sich nämlich unsere Freunde vom SCHWARZEN SCHMETTERLING neu organisiert der Öffentlichkeit präsentieren. Reingucken kann man schon auf derschwarzeschmetterling.wordpress.com.


Diese Schmetterlings-Leute meinen es ernst. Sie sind schlau, sie sind organisiert, und sie werden die Welt verändern. Sie wollen Themen verständlich machen, die sonst nicht immer zugänglich sind. Sie sorgen für Raum, um intelligent über soziale und politische Dynamiken zu reden, ohne sich aufzuspielen, „ganz schön links, aber nicht borniert“.

Finden wir super. Daher heute eine Hommage an den SCHWARZEN SCHMETTERLING und zugleich einen kleinen Teaser für das neue Renfield-Heft, an dem wir tagein nachtaus fleißig arbeiten und das am 15. Mai erscheint, hurra, hurra! Seit dem vorigen Heft die Kolumne „The Renfield Rant“. Dort darf gemeckert und geschimpft werden, was die Wände der Gummizelle aushalten. Für das bald erscheinende Heft konnten wir den Gründer des Schwarzen Schmetterlings, Houssam Hamade, als Autor des Renfield Rant Vol. 2 gewinnen. Hier nun Vol. 1 aus Renfield No. 29 vom Oktober 2014:

THE REFUGEE RANT

SLOGAN: Das ist UNSER Haus!

Viele Menschen sind unglücklich und besorgt. Sie fürchten, dass von der schieren (wienerisch: schierchen) Masse an Menschen, die sich über die Grenzen dieses Landes drängen, der Grundwasserspiegel steigen könnte. Weil der Boden sich durch dieses krasse Gewicht einfach um ein paar Zentimeter senkt. Vielleicht fangen auch die Häuserwände an zu bröckeln. Dehnen sich aus und kriegen Risse. Unter den Brücken ist auch bald kein Platz mehr. Da sitzen sie alle, weil sie ja nicht arbeiten gehen. Man kommt kaum noch vorbei. Und am Ende kriegt wahrscheinlich noch jemand einen Ziegelstein auf den Kopf. Wenn die da alle auf dem Dach sitzen! Dafür ist es doch nicht gedacht!
Sie wünschen sich, dass mit diesen erschreckenden Menschenmassen, die hier einfach auftauchen und ein Dach über dem Kopf oder unter dem Hintern verlangen, irgendwas geschehen soll. Am Ende wollen die noch arbeiten gehen. Und was dann?

Zum Glück aber haben die (egal wer, die halt zuständig sind, es muss ja alles seine Ordnung haben) jetzt mal richtig Geld in die Hand genommen. Und sich auf eine alte Kategorie des römischen Rechts besonnen: das Mos Maiorum. Das heißt sowas Ähnliches wie Rückbesinnung auf die Tradition. (Wikipedia schlägt vor: „Sitte der Vorfahren“.) Alle, die also in Angst und Sorge um ihre Werte und Traditionen sind, weil sie fürchten, dass ihnen jemand ein Kopftuch vor die Augen binden könnte oder dass sie irgendwann vor lauter Moscheen den Weg nach Hause nicht mehr finden, die dürfen jetzt aufatmen. Denn die Bedrohung, die von all den Menschen auf den übervollen Booten ausgeht, wenn sie erst einmal, da sei Frontex davor, das andere Ufer erreicht haben, wird ab dem 13. 10. eingedämmt. Ein Jahr nach Lampedusa.

Ausgedacht hat man sich das wohl in Italien. Aber es findet in 25 europäischen Ländern statt und beschäftigt, für gutes Geld, 20000 Polizisten. Zwei Wochen lang machen sie Jagd auf illegale Einwanderer. Die sans papiers, die ihnen in die Finger kommen, werden festgenagelt, eingesperrt und deportiert, in die sogenannten „sicheren Drittländer“ wahrscheinlich. (Wir erinnern uns: Ein sicheres Drittland ist in dieser Welt zum Beispiel Rumänien für die Roma.) Während sie dieses noble Ziel verfolgen, dürfen die 20000 in unserem Namen lukrativ Beschäftigten natürlich jede*n, die so aussehen, als schlichen sie asylwerbend Richtung Norden, abfangen, belästigen, befragen, kontrollieren, festhalten. Ein Ersuchen um Asyl gilt ihnen als „modus operandi“ der illegalen Einwanderung. Zuviel Latein scheint auch nicht immer gesund zu sein.

Ein Wort aber, das man vielleicht kennen sollte, ist „Ressentiment“. Es bezeichnet die Angst und die Abneigung, die Menschen befällt, wenn sie auf die Idee kommen – egal wie weit das von der Realität entfernt sein mag –, jemand könnte ihnen ihre Privilegien rauben. Oder sie einschränken. Oder – und das scheint den selbstgerechten Deutschen manchmal das Schlimmste von allem – man könnte ihnen gar Vorwürfe machen! SHRIEK! Wir sind nicht schuld!!!

Dazu sagen Kreuzberger von überall her eigentlich nur eines: Wir haben Platz. Die einzige Aufgabe der Verwaltung wäre, das zu REGELN. Nämlich dafür zu sorgen, dass alle Unterkunft und notwendige Unterstützung bekommen. Die Aufgabe der Verwaltung ist es nicht, die Menschen mit ungültigen Verträgen zu betrügen, ihnen mit Kindesentführung zu drohen, sie mit Residenzpflicht zu belästigen, ihnen das Arbeiten zu verbieten, sie in Lager zu sperren, wo sie misshandelt werden. Es ist Platz in der Ohlauer Straße, es ist Platz in der Gürtelstraße, es ist Platz in der Cuvrystraße. Es ist Platz überall, wo überteuerte Ferienwohnungen vermietet werden dürfen.
Berufen wir uns also auch auf eine Tradition, dann werden wir vielleicht verstanden. Und die klingt so:

Das ist unser Haus! Schmeißt doch endlich den Senat aus Kreuzberg raus!

Alissa Wyrdguth

Mittwoch, 22. April 2015

Juice of love, love of tapes

Mit ein wenig Stolz in meinem Katzenherzen möchte Ich an dieser Stelle auf einen Artikel in der aktuellen Ausgabe der Zitty (Berliner Stadtmagazin) hinweisen. Wer weiß, wohin der Weg der guten alten Kassette noch führt, ein paar findige Menschen setzen schon länger auf das Tape als Musiktransportformat der Stunde. Viel Spaß also mit der Story über Berliner Tapelabels aus der Feder des Herrn Flanell.

Und jetzt weiter im Text. Juice of Love waren angekündigt, JoL kommen jetzt. Wer das ist und warum sie wie am liebsten schlafen im folgenden Interview von Philip Nussbaum, erschienen in Renfield No. 29 - welches fast vergriffen ist.

Dösen und Schlaf und Träume und Aufwachen und aus

Sie wachte mit einem Lächeln auf. Warmes Licht fiel ins Zimmer und auf ihr entspanntes Gesicht und ließ den Schlaf abperlen. Die Träume flogen auf wie Schmetterlinge. Irgendwo draußen sang ein Vogel, und die Melodie wurde vom sanften Wind mal zu ihr, dann wieder weiter hinaus in den Morgen getragen. Sie streckte sich und griff in die Sonnenwärme. Heute, ja, heute war ein guter, heute war der Tag. Ob er schon auf dem Weg war? Sie stellte sich vor, dass, und suchte absichtlich nicht nach einem Zifferblatt oder einer Anzeige, um sich die Ungewissheit und Vorfreude möglichst uneingeschränkt zu erhalten. Das war sie also, diese sogenannte Liebe, von der alles und jeder sprach. Es hatte wohl eine Weile gedauert, aber jetzt war sie da. Soviel stand fest. (versuch 8, „09:00h“)

Soundtrack: JUICE OF LOVE. Frau / Mann-Duo, bestehend aus Alex und Mila, dessen erstes Vinyl 2013 im Musikzimmer erschien, wie von einem durchziehenden Wetter dagelassen.

P: Schlaf. Seid ihr genau jetzt ausgeruht und hellwach, um darüber nachzudenken? Oder eher abgekämpft, müde und duselig? Vielleicht könnte die zweite Verfassung gar helfen ...
Alex (Juice of Love): Tatsächlich bin ich gerade ziemlich müde, und das obwohl ich eigentlich recht lange geschlafen hab. Das heißt, bis heute Mittag um halb eins.
Mila (Juice of Love): Vielleicht ein bisschen von beidem …, obwohl es ein langer Tag war, bin ich auf jeden Fall noch wach genug zum Tanzen!

P: Schlaf – existenziell und wundervoll? Oder lediglich hinzunehmendes Übel?
A.: Ich mag Schlaf sehr gerne. Er kann so schön gemütlich, tief und heilend sein. Doch ich würde mir wünschen, dass man sich einfach selbst aussuchen könnte, wann man schlafen will. Es nervt mich, dass man von der Müdigkeit dauernd dazu gezwungen wird.
M.: Für mich ist Schlafen neben Essen und Tanzen wohl eine der schönsten Beschäftigungen überhaupt!

P: Kann im Schlaf etwas gewonnen werden? Oder geht es dabei nur um Verlust und das Verpassen irgendwelcher Gelegenheiten?
A.: Davon, dass man fast die Hälfte seiner Lebenszeit verschläft, bin ich nicht sehr begeistert. Doch die Welten, die man im Traum erleben kann, machen die verlorene Zeit vielleicht wieder wett. Ich träume viele unwirkliche und verstörende Dinge, was ich sehr spannend und inspirierend finde.
M.: Eigentlich verpasst man doch immer irgendwas, und Schlafen ist viel zu schön, um dabei von Verlust zu sprechen.

P: Herr Warhol hat es getan, andere, deren Namen mir gerade nicht einfallen, haben es ebenfalls getan. Vorbilder genug, ich will es auch – einen Augenblick des Schlafs einfangen. Eures Schlafes. Beschreibt ihn. Wie sieht das aus, wenn ihr schlaft, wenn ihr träumt? Was ist an Drumherum entscheidend? Wie klingt es? Riecht es? Stellt euch den absolut perfekten Schlaf vor!
A.: Unser Schlaf ist im allgemeinen sehr tief und dunkel. Ein schwarzes Loch. Kein Geruch, kein Geräusch. So ist es auch fast schon perfekt. Wir würden nur gerne viel öfter träumen oder uns öfter daran erinnern können.

P: Träumt ihr? Was war der unbedingt schönste Traum bis hierhin? Und was der grässlichste, der, der am meisten verstört hat?
A.: Als ich jünger war, träumte ich einmal, dass sich eine weiße Holzpuppe zu mir ins Bett neigt. Oder dass sich Kurt Cobain vor meinen Augen in ein blutiges Pferd verwandelt, aus dessen Körper dann ein kleines verschrumpeltes Wesen kriecht. Diese Träume waren beide recht verstörend. Der Schönste war vermutlich irgendein Sextraum, bei dem man dann richtig enttäuscht ist, wenn man aufwacht.
M.: Ich hatte schon viele schöne Träume, aber eigentlich keinen, an den ich mich konkret erinnern kann. Dafür könnte ich hier von unzähligen Alpträumen schreiben, die ich schon hatte (die vergess ich nämlich aus einem unerfindlichen Grund nie). Als ich noch sehr klein war, habe ich zum Beispiel mal geträumt, dass ein Wolf in unsere Wohnung kommt und mich in meinem Bett auffressen will. Am nächsten Morgen habe ich meinen Papa gefragt, ob in Düsseldorf Wölfe leben.

P: Ich habe festgestellt, dass Träume nach z. B. einigen Bieren andere sind als die nach ein wenig Wein oder Whisky. Lediglich besoffene Zufälle? Was kann es auf sich haben mit Substanzen, die schlafen und träumen helfen und nicht nur Narkotika sind?
A.: Wenn ich recht überlege, hatten derartige „Substanzen“ noch nie einen wirklichen Einfluss auf meine Träume oder auf meinen Schlaf. Allerhöchstens wurde alles in allem etwas wirrer.
M.: Wenn ich getrunken habe, träume ich nicht (bzw. weiß am nächsten Morgen nichts mehr davon).

P: Schlaf als easy way out? Was lässt sich tatsächlich nur schlafend ertragen?
A.: Wenn ich sehr traurig bin, oder sehr enttäuscht, oder sehr krank und daher den Tag oder den Abend nicht ertragen mag, dann bleibt die Möglichkeit, sich im Schlaf zu verstecken. Das klappt ganz gut.

P: Schlaf als letzter Ausweg. Einige sind tatsächlich der Auffassung, das sei eine wunderbare Art zu sterben, einfach wegdriften und niemals wieder aufwachen. Ewiger Schlaf, viel, viel länger als Dornröschen ...
Juice of Love: Es ist sicher die „sanfteste“ Art zu sterben. Eben so sanft, wie das Einschlafen an sich. Man merkt es gar nicht.

P: Genug mit Schlafen und Träumen. Aufwachen! Wie am besten? Was und wen braucht‘s?
A.: Man schlägt die Augen auf und ist hell wach. Dynamisch und energiegeladen springt man aus den Federn und schüttet sich ein kaltes Glas Wasser in die Kehle. „An die Arbeit!“ brüllt man noch in freudiger Erwartung an den Tag. So soll es sein. Doch so ist es bei mir nie. Ich quäle mich mindestens eine Stunde mit der Schlummerfunktion des Weckers, bis ich ansatzweise wach bin.
M.: Es braucht selbstverständlich den Liebsten neben einem im Bett und dann ganz viel Kaffee und Knack&Back!

P: Famous last words?
M.: Macht's gut und danke für den Fisch!

Juice of love

Mittwoch, 15. April 2015

Parallelwelten

oder: Der erste Synthesizer in Lateinamerika

Heute, liebe Kinder des guten Geschmacks, wollen wir euch einen Mann vorstellen, den keine Sau kennt, aber jede Sau kennen sollte. Sein Name ist José Vincente Asuar und er ist der latein-amerikanische Pionier der elektronischen Musik. Er kann durch die Straßen gehen, als wäre er ein niemand, wie wir. Kein Hahn kräht nach José Vincente Sowieso.

Er lebt etwas zurückgezogen, mitten im Grünen, umgeben von zwitschernden Vögeln und Kätzchen. Hinter seiner Wohnungstür in Chile verbergen sich aber Schätze, die die Entwicklung der elektronischen Musik Lateinamerikas nachvollziehbar machen. Natürlich hat er einen Computer, aber daneben finden sich allerlei, zum Teil in Plastik eingewickelte, technische Gadgets für Musikproduktionen. Ein bisschen wie Ted Kaczynski seinerzeit, nur ohne Bomben. (Dafür sind in Chile andere zuständig.) Der Unabomber lebte ja seinerzeit zurückgezogen im Wald und schickte Briefbomben an den einen oder anderen Großkonzern. Außerdem war er an der Frühentwicklung heutiger Computer beteiligt und gab eine Zeitschrift heraus, in der unter anderem erklärt wurde, wie man beispielsweise ein Schaf schert, um die Leute zur Autonomie zu erziehen.

Ganz so ist es bei unserem Protagonisten nicht. Zwar ist auch in seiner Umgebung die Komplizenschaft von Synthetischem und Organischem zu finden, jedoch braucht er kein Manifest, das ihn zu Innovationen inspiriert. Anders war es bei den Franzosen Pierre Schaeffer und Pierre Henry, die um 1948 erstmals auf die Idee kamen, aus Strom Musik zu machen. Sie lasen das „Futuristische Manifest“ von Filippo Marinetti, der mehr als fragwürdige Ansichten hatte, weil er ein Nazischwein war, und die Idee mit Alltagsgeräuschen zu experimentieren wurde geboren.

„Die Kunst und die Künstler an die Macht“ war vielleicht einer der Sätze, die sie aufgeschnappt haben, um der sogenannten „musique concrète“ Leben einzuhauchen. Nachdem alle genug hatten vom Weltkriegen, konnten sie sich wieder wichtigeren Dingen zuwenden, wie beispielsweise der Entwicklung besserer Mikrofone, Plattenspieler und vor allem der Entwicklung des Tonbands.

Zur selben Zeit, auf der anderen Seite des Planeten vollzog sich derselbe Experimentiertrieb junger Komponisten, ohne die Arbeit der musique concrète zu kennen. Die GEMA, also das Gabinete de Electroacústica para la Música de Arte wurde von Juan Amenábar und José Vicente Asuar gegründet und erst seit 2005 bekommen sie etwas mehr (als keine) Anerkennung. Zu diesem Zeitpunkt ist Asuar 72 Jahre alt. Er erwartet keinen roten Teppich, aber er hofft, dass die nächste Generation von Komponisten ihn mit der Zeit in Verbindung bringt, da er den ersten Synthesizer Lateinamerikas schuf, denn die Komponisten für elektronische Musik waren bis dato in der medialen Öffentlichkeit völlig unbekannt.

Asuar komponierte seine Werke unter anderem in Deutschland, wo er 1960 das Labor für elektroakustische Musik in Karlsruhe gründete und leitete, da das Interesse der akademischen Behörden seiner Heimat quasi Null war, die elektronische Musik in diesem Bereich zu unterstützen. 1978 machte er seine eigene Bude auf, die sich COMDASUAR nennt. Seither versuchen die chilenischen Komponisten das Gefühl der Verwaisung zu überwinden. Es ist für sie fast unglaublich, dass die heutige Generation plötzlich Interesse an deren Arbeiten zeigt. Sein Album „El Computador Virtuoso“ wird heute mit dem Prädikat: besonders wertvoll gehandelt. In seinem Buch "Así habló el computador“ (Also sprach der Computer) beschreibt er seinen Arbeitsprozess.

Nicht nur die Lähmung der Militärdiktatur, sondern das generelle Desinteresse warfen die Komponisten Chiles in eine bleierne Zeit. Zwischen 1985 und 1992 ist gar nichts, aber auch absolut gar nichts in Sachen Grundsteinlegung des Tekkno passiert. Absolute Stille und langweiliger wiedergekäuter traditioneller Scheiß war alles, was man von den Huasos derzeit erwarten konnte. Erst durch die Wiederbelebung des Elektroakustischen Kabinetts für Musik entstanden neue Kompositionen, u.a. vom Wegbegleiter Asuars - Juan Amenábar, der unter anderem ein Stück namens "Los Peces" (Die Fische) schuf.

Ich versuch das mal zu beschreiben: orgelartige Flächen, die sich gegenseitig unterbrechen, ohne Rücksicht auf harmonische Strukturen. Pausen, die wie Fehler klingen und alles aneinander gereiht, als würde ein Schwarm Fische auf Tranquilizern die Strömung in einem dickflüssigen See nicht finden, weil sie vergessen haben, was sie suchen. Er hat das Stück in den Studios von Radio Chile fertig gestellt. Genau wie die Franzosen Henry und Scheffer, die in einem Labor für Radio und Fernsehen in Paris das erste wichtige Werk der musique concrète, die "Symphonie pour un homme seul" komponierten.

Amenábar nahm eine Reihe von Akkorden auf, die er auf dem Klavier spielte. Danach arrangierte er das Ganze rhythmisch nach der Fibonacci-Folge (1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, … ) - klar, was sonst?! Er benutzte die gleiche Technik wie in der musique concrète. Juan Amenábar hat den Klang des Klaviers aufgenommen und den Moment, da der Hammer die Saite trifft, weggeschnitten und lediglich die Resonanzen zusammen gefügt. Es folgte das Stück "Nacimiento" (Geburt) des chilenisch-israelischen Komponisten Léon Schidlowsky. Es gilt als das erste Stück der chilenischen musique concrète. Das Hauptelement ist die musikalische Simulation des Herzschlags. In dieser Arbeit gibt es keine elektronischen, sondern nur alltägliche akustische Elemente, deren Aufnahmen Lasagne-artig übereinander geschichtet wurden.

José Vincente Asuar klingt aber ganz anders, weniger nach ersten Gehversuchen, als nach beabsichtigtem gezielten Sound. Seine Stücke sind zumeist geile gruselige Sachen. Auch werden seine Ideen auf andere Aspekte der Kunst ausgeweitet. Asuar schrieb zum Beispiel die Musik zu einem Stück für acht Film- und fünfundvierzig Diaprojektoren, das in Caracas aufgeführt wurde. Sein berühmtestes Werk heißt "Variaciones Espectrales" (Spektralvariationen), mit dem er 1959 das erste chilenische rein elektronische Stück komponierte. In diesem Stück experimentiert er musikalisch mit dem Pointillismus, was eigentlich eine Stilrichtung in der Malerei ist. Typisch für den Pointillismus ist, laut Definition, der streng geometrisch durchkomponierte, oft ornamental wirkende Aufbau.
Er gilt als eine Gegenströmung zum Impressionismus und strebt nicht mehr eine realistische Momentaufnahme an, sondern die Wirklichkeit wird komponiert (besser: eine Komposition der Wirklichkeit). Asuar macht in seinem Stück genau das. Er nutzt keine klassischen Instrumente, sondern widmet sich ganz allein der radikalen und fantastische Aufgabe, einen Computer zu erschaffen, der einzig zur Erzeugung elektronischer Musik dienen soll. Diese entstand in der Universidad Católica de Chile. Asuar selbst sagt über das Stück, dass es für ihn eine große Ehre ist, dass das Stück als Referenz für die Anfänge von computergenerierter Musik gilt. Dank der neuen Komponisten, die diese Musik kultivieren, also alles, was im Berghain oder im Institut für Zukunft Leipzig zum Beispiel die Bühne betritt, wird seine Arbeit am Leben gehalten.


Gegenwärtig ist er Teil einer Forschungsgruppe “Tecnología del Sonido“ (Technologie des Klangs) an der Fakultät für Naturwissenschaften, Musik und Darstellende Kunst der Universität von Chile. Hier werden Synthesizer mit dem Rechner verbunden, was in Chile absolut originell ist, da hier nur bedingt auf eigene Erfahrungswerte zurückgegriffen werden kann.

Ein Mitglied der chilenischen elektroakustischen Gemeinschaft (Cech) sagt, dass das Besondere an Asuars musikalischem Werk ist, dass er das Verständnis für musikalische Komposition als Prozess in den Vordergrund rückt, da er theoretische Forschungsergebnisse mit praktischer Anwendung verknüpft. Die akademische Anerkennung seiner Person resultiert aber vor allem aus der Wertschätzung seiner Arbeit durch nichtakademische Kreise. Mittlerweile wurde er mit zahlreichen Preisen bei internationalen Wettbewerben ausgezeichnet, denn er war bereit sich der Überarbeitung mit den gegebenen Materialien zu stellen und seine Sprache als Komponist zu überdenken. Stillschweigend entwickelte er den ersten leistungsfähigen Synthesizer seiner Zeit, den virtuosen Computer und das zu einer Zeit, da der Alltag Chiles unter einem großen Schatten stand. Es war unmöglich mit den gegenwärtigen Einschränkungen vier Hubschrauber wie Stockhausen zu arrangieren oder Synthesizer mit anspruchsvoller Ausstattung zu benutzen. Seine Beziehung zur elektronischen Musik sei erst spät entstanden sagt er. Auch wenn er die Arbeiten von Bulez oder Cage kennt, hat er doch eine ganz eigene, instinktive Beziehung zur experimentellen Musik.

Der Musiker musste als Ingenieur denken und da Asuar außerdem ausgebildeter Bauingenieur ist, waren der Keyboard-Synthesizer und Computer-Programme die ideale Erfüllung seiner musikalischen Träume. Er wollte nicht experimentieren, mal gucken, was dabei raus kommt, sondern er wollte seine persönliche Vision verwirklichen. Natürlich experimentierte er anfangs mit Tape-Kollagen, Filtern und Effekten, die die ästhetischen Leitlinien bildeten, aber es gehört ein bisschen mehr dazu, nach so langer Zeit der Ablehnung, heute zu einem der wichtigsten Forscher und Förderer der elektronischen Musik der Gegenwart zu werden.

In der Zwischenzeit hat sich eine Menge Kram in Asuars kleiner Bude angesammelt. Blätter mit Zeichnungen, die eher nach technischen Konstruktionen als nach Notationen aussehen. Und doch gibt es eine Verbindung zwischen diesen alten Aufzeichnungen und dem gegenwärtigen Einfluss elektronischer Musik auf die junge Generation, bei denen experimentelle Musik sich einer großen Beliebtheit erfreut, was Asuar seinerzeit beabsichtigte – das Hörerlebnis auf eine andere Ebene zu bringen.

Abschließend möchte ich nochmal erwähnen, dass sowohl Mike Patton in Chile eine musikalische Heimat gefunden hat (die „Guachacas“ von Chile wollten ihn 2013 zum König wählen), als auch beispielsweise Uwe Schmidt, der den meisten besser bekannt sein sollte als Señor Coconut oder Atom™. Falls nicht, habt ihr jetzt ein paar Hausaufgaben nachzuholen.

von LRTT* + Nicolás Requena

Dienstag, 7. April 2015

Ox-Schreiber-Tour 2015 Schweiz (Last part. Seriously.)

Part 3: Vom freundlichsten Taxifahrer der Welt und den Metalmädels

Jetzt sitzen wir also schon wieder im Zug. Eben haben wir uns noch am Hohenemser Bahnhof die Sonne auf die übernächtigen Nasen scheinen lassen und schon rollt draußen vor den Fenstern die bergige Landschaft an uns vorbei. Schön ist sie, die bergige Landschaft, das Leben mit seinen Höhen und Tiefen sowieso und sogar Bregenz-Riedenburg schenken wir heute ein Lächeln, als es sich still und heimlich wieder auf die uns vorgegebene Bahnstrecke schleicht. Riedenburg lächelt wohlwollend zurück und wir vertiefen uns in Gespräche über die Tour, das Land, die Kinderpopulation der Vorarlberger Skinheadszene am Beispiel eines einen Buggy durch den Waggon schiebenden Renees.

Und irgendwann zwischen all diesen Gesprächen meint Gary Flanell: „Ja, hier ist er ja wieder, der Bodensee“. Und ich, ich sehe aus dem Fenster und will etwas sagen wie: „Ach Bodensee, du viel zu spät entdeckte Liebe“, sage aber stattdessen: „Fuck, Alter, wir haben vergessen auszusteigen!“

Denn das Schild da am Bahnhof sagt auch etwas, „Bregenz Hafen“ nämlich, und wir, wir hätten „Bregenz Hauptbahnhof“, also eine Station früher aussteigen müssen. Da kann der Bodensee noch so friedlich vor uns liegen, wir sind zu weit und der Anschlusszug nach Zürich steht wahrscheinlich schon bereit.

Also springen wir raus aus dem Zug und während ich panisch versuche abzuwägen, wie weit es denn ist und ob das am Fußweg packbar ist, winkt uns Herr Flanell in seiner Berliner Gelassenheit mal eben ein Taxi ran. „Hauptbahnhof, bitte“, sage ich hastig und Gary Flanell sagt dasselbe, aber eben ganz relaxed. „Kein Problem“, meint der freundlichste Taxifahrer der Welt und wir erklären ihm kurz unser Dilemma: Literaturreisende auf dem Weg nach Bern, in Gespräche vertieft, den Ausstieg verpennt (was ja sonst nur in der Nazi –und Drogenszene üblich ist), Anschlusszug in fünf Minuten etc. Der freundlichste Taxifahrer findet das lustig und schüttelt auch gleich die passende Anekdote (die ich leider vergessen habe) aus dem, weil draußen der Frühling strahlt, hochgekrempelten Hemdsärmel. Als wir dann nach einer Minute und siebendundzwanzig Sekunden Fahrzeit und fünfhundert Metern Geradeausfahren auch schon da sind und unsere Geldbörsen zücken wollen, meint der freundlichste Taxifahrer der Welt mit einem Lächeln in seinem freundlichen Taxifahrergesicht in seinem Vorarlberger Dialekt (für mich nicht eins zu eins wiedergebbar) so etwas wie: „Kein Problem Jungs, ich wäre sowieso hier hergefahren, schaut ihr mal, dass ihr euren Zug erwischt“.

Wir bedanken uns überschwänglich und winken dem freundlichsten Taxifahrer der Welt ein letztes Mal dankbar zu. Dann realisieren wir, dass ja noch reichlich Zeit ist und holen erst einmal Kaffee.Hätten wir vorab geahnt, wie viel Zeit wir wirklich haben, hätten wir uns zwei Kaffees geholt oder wären zu Fuß gegangen, denn der Zug nach Zürich verspätet sich um 14 Minuten. Allgemeine Panik am Bahnhof, wir freuen aber uns erst einmal ein weiteres Mal auf Tour zu sein, trinken Kaffee, genießen den Seeblick und bekommen unsererseits erst Panik, als uns bewusst wird, dass unsere Wartezeit in Zürich 15 Minuten beträgt, was Minus vierzehn Minuten Verspätung und keinerlei Orientierung am Züricher Hauptbahnhof „reichlich Kacke am Dampfen“ ergibt.

Es dampft schlussendlich gar nichts, alles geht sich prima aus. Und weil diese in Österreich durch und durch gängige Redewendung in Deutschland, wie ich auch während vergangener Lesereisen mit deutschen Landsmännern immer wieder gesagt bekam, scheinbar nicht verwendet wird, erwischen wir locker den Zug. Um ja in den richtigen zu steigen prägen wir uns bereits in diesem Zug die Bezeichnung des Anschlusszuges ein. Und ja, wir wären nicht URS GROB BOOTSBETRIEB würden wir dies nicht tun indem wir uns gegenseitig mit phatten Rhymes befeuern. Beispiel gefällig? Here we go: „Wo wird die Butter niemals ranzig? Im IC Vier Null Zwanzig“ oder „Mit welchem Zug fuhr einst Glenn Danzig, na mit dem IC Vier Null Zwanzig“.

Und wenn nun solche lustigen Wortspiele zweier bärtiger Brillenträger mit Augenringen und schlechtem Atem für irritierte Gesichter der mitreisenden Menschen sorgt, dann sollten sich eben diese mitreisenden Menschen später mit uns in den IC 4020 setzen und sich an den lautstark in schwer verständlicher Sprache (ja, es ist Deutsch, natürlich, aber Deutsch ist nun einmal nicht Deutsch und wenn mich als Österreicher in Deutschland kaum jemand versteht, so verstehe ich für meinen Teil leider in der Schweiz – und sogar in Vorarlberg – kaum jemanden) Gesprächen der Metalmädels (ob die den Mätel auch kennen ist mir nicht allerdings bekannt) erfreuen. Denn die reden alle am Stück, und alle vier gleichzeitig und manchmal telefonieren sie auch. Viel verstehe ich wie gesagt nicht, aber dass „IRON MAIDEN was für Pussys“ ist und „er in vierundzwanzig Tagen zwanzig wird“ weiß ich jetzt trotzdem. Um es mit den Worten von Dieter Bohlen zu sagen: „Ich fühle mich gut unterhalten, aber es reicht nicht für den Recall“.

Und dann, dann ist da also dieses Bern, Hauptstadt der Schweiz. Stadt von der ich nur den Bahnhof, ein paar altehrwürdige Häuser und die altehrwürdige Reitschule zu sehen bekommen werde. Ich hatte ja im Vorfeld gehofft auf der Reise quer durch die Schweiz die landschaftlichen Reize des Landes genießen zu können, aber konzentriere du dich einmal auf vorbeiziehende Berge, Seen und was auch immer, wenn die Metalmädels Metallieder mitzusingen versuchen. Zumindest fährt mein EC Wasauchimmer am nächsten Tag auf der Heimreise lange, ja sehr lange dem Züricher See entlang und bietet geile Wasser-Bergkulisse, bevor es über Liechtenstein, Österreich, Deutschland und wieder Österreich nach Hause geht.

Bevor es aber soweit ist erwartet uns am Bahnhof Lepra. Oder besser gesagt, er sollte uns erwarten, ist aber noch nicht da. Dass er sich verspäten wird, hat er mir übrigens via Facebook-Messenger mitgeteilt Blöd nur, dass ich in der Schweiz keinen Internetempfang habe. Ja, aber er kommt und dann wird erst einmal Wein eingekauft. Und das Spiel gespielt „Wer findet das billigste alkoholische Getränk“ und den Metalmädels zum erfolgreichen Alkopopseinkauf gratuliert.
Alles weitere soll euch aber lieber Gary Flanell erzählen, ich muss jetzt nämlich meine Restfranken umtauschen gehen.

H.C. Roth

Nachtrag:

Der HC und seine Restfranken, immerhin hat er noch welche. Nach dem hinterhältigen Diebstahl meines Portmonees in Charlottenburg besitze ich sowas gar nicht mehr. jetzt snd da nur noch Erinnerungen an den Abend unserer Lesung in der Berner Reitschule.

Von diesem unserem letzten Leseort kam mir bisher nur Gutes zu Ohren. Wenn all das, was so erzählt wurde, stimmte, dannn war die Reitschule zu Bern sowas wie ein sagenumwobenes Schloß unter den alternativen Zentren dieser Welt.Unter den vielen Dächern der ehemaligen Reitschule verbirgt sich ein Areal mit unzähligen Räumen für diverse Projekte. Nach einem üppigen Abendessen bekommen wir von Sandro und Lepra eine kleine Führung. Unter dem Dach der Reitschule finden sich sehr viele einzelne Räume, die von unterschiedlichsten Gruppen genutzt werden. Im Innenhof der Infoladen, gegenüber die große Halle für dicke Konzerte, gleich daneben zwei Cafes oder Bars und wer weiß, was wir alles noch gar nciht gesehenn haben. Auch im Innenhof ist auch der ehemaligen Pferdestall, der heute als Kino genutzt wird – wo wir lesen werden.
Am beeindruckendsten für mich war auf alle Fälle der Dachstuhl. Selten genug gibt es Konzerträume, die sich auf einem Dachboden befinden und der hier ist nicht nur groß, sondern auch wunderschön mit seinen dicken Dachbalken, der großen Bühne und dem langen Tresen. Habe mir fest vorgenommen, demnächst mit URS GROB BOOTSBETRIEB genau hier die Berner Massen zum ausrasten zu bringen.

Auch das erwähnte Pferdestall-Kino ist top. Die alten Futterkrippen hängen noch an der Wand und HC und ich erwägen kurz, uns für die Lesung entweder dort hinein zu legen – oder in die Gosse, die immer noch im Boden erkennbar ist. . Unsere neun Gäste sitzen an diesem Abend allesamt in der ersten Reihe und haben deshalb den perfekten Blick auf das, was HCund ich da so treiben. Der Kollege Roth kann es sich wirklich nicht nehmen lassen, sich im Laufe des Abends sich dann wirklich wirklich wirklich in die gepflasterte Ablaufrinne zu begeben und dort zu performen. Gemeinsam gibt es nochmal das Beste von Frosch mit Socken, der Spinne Pup und dem Rockpinguin. Und ganz am Schluß noch einmaleine Polizisten-Verzehr-Performance im Themroc`schen Sinne von U.G.B. – diesmal so intensiv und kräftezehrend wie noch gar nie auf der Tour.

Hinterher, die Gäste sind schon lange gegangen, kleben Lepra, HC, Sandro und ich noch an der Kinobar und kippen ein Bier nach dem nächsten in uns rein. Der Unglücksrabe Roth muss leider schon um fünf oder so den Zug Richtung Graz erwischen. Ich bin froh, dass ich mich diesmal ausschlafen kann. Denn am Montag war noch eine Lesung in Basel geplant. Die entfällt aber aufgrund diverser Fehlplanungen und so habe ich nun einen Off-Day am Ende der Reise.
Heißt: gemütlich auspennen, dann mit einer Wienerin im Berner Exil noch einen Kaffee schlürfen (liebe Nina, schön war‘s!) und dann so langsam, wie es das Klischee von den Schweizern vorgibt, auf den Weg nach Basel.
Dort verziehe ich mich fix ins Hostel, und verlasse es nur kurz, um im verschlafenen Kiez hinterm Bahnhof irgendwas zu essen zu kriegen. Meine Tourabschlußmahlzeit ist die wohl teuerste Bratwurst mit Pommes der Welt. 22 Restfranken ist sie wert, puh. „Hauptsache satt“, denke ich und lege mich in mein Hostelbett. Jetzt will ich nur noch nach Hause.

Vor dem Rückflug am nächsten Tag betrete ich den örtlichen Plattenladen – verlasse ihn mit zwei 7inches von Jonathan Richman und den Oblivians. Abends Aufschlag in Schönefeld. Als wäre es nicht anders zu machen, fällt dort draußen die S-Bahn auf unbestimmte Zeit aus. Mit Tram und Ersatzverkehr kämpfe ich mich zwei Stunden lang durch den Moloch Berlin. Beim dritten Umstieg an irgendeiner verlassenen dunklen Tramstation denke ich noch eimal an die Sonne am Bodensee und sehne ich mich kurz, nur ganz kurz, nach der beschaulichen Pünktlichkeit der Schweizer Bahn zurück.

Gary Flanell